US-Präsident Barack Obama exklusiv in BILD Was ich an Merkel so mag!

Am Sonntag kommt Barack Obama zum vermutlich letzten Mal als US-Präsident nach Deutschland. Im November wird in den USA ein Nachfolger gewählt. Im großen BILD-Interview spricht Obama über Europa, den Kampf gegen den Terror. Darüber, was er von Deutschland erwartet und was er an Angela Merkel am meisten schätzt.

BILD: Herr Präsident, am Sonntag besuchen Sie Deutschland. Heute sind bei vielen internationalen Herausforderungen die Augen auf Berlin gerichtet. Wie sehen Sie Deutschlands Rolle in der Welt?

Barack Obama: „In seiner historischen Rede in Berlin forderte Präsident Kennedy die Welt auf, nach Berlin zu kommen, um den kämpferischen Geist der Freiheit und Demokratie zu erleben. Heute – ein Vierteljahrhundert nach der friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands – blicken wir wieder nach Berlin.

Deutschland ist nach wie vor einer von Amerikas engsten und stärksten Verbündeten – ein unverzichtbarer Partner nicht nur für unsere eigene Sicherheit und die unserer Nato-Verbündeten, sondern auch für die Sicherheit, den Wohlstand und die Würde der Menschen auf der ganzen Welt. Und mit Bundeskanzlerin Merkel erhöht Deutschland den Einsatz und spielt eine noch größere Rolle auf der internationalen Bühne.

Im Kampf gegen den Terror ist Deutschland einer unserer engsten Partner, während wir dabei sind, ISIL zu zerstören, Terrorangriffe wie die von Paris und Brüssel zu verhindern und Ländern wie Afghanistan dabei zu helfen, für ihre eigene Sicherheit zu sorgen.

Warum sagt der Präsident ISIL?

Im Interview mit BILD nutzt der amerikanische Präsident für die Terroristen des selbst ernannten Islamischen Staates den Begriff „ISIL“ („Islamischer Staat im Irak und der Levante“).

Die Levante ist ein Gebiet, das die östlichen Mittelmeer-Staaten umfasst.

In Deutschland lautet die geläufige Abkürzung ISIS („Islamischer Staat im Irak und in Syrien“).

Deutschlands Beteiligung war entscheidend für das Abkommen, mit dem der Iran davon abgehalten wurde, in den Besitz von Nuklearwaffen zu gelangen, ebenso wie für das Klimaschutzabkommen von Paris.

Hier in Europa hat Deutschland – und vor allem Bundeskanzlerin Merkels Führungsstärke – wesentlich dazu beigetragen, die europäische Einigkeit während Russlands Aggressionen gegen die Ukraine zu bewahren. Dasselbe gilt für den humanen und geordneten Umgang mit der großen Zahl an Migranten.

Wir teilen dieselben Werte, dazu gehört das Bekenntnis zur Menschenwürde. Das zeigte sich zum Beispiel, als wir gemeinsam in Westafrika Menschen vor Ebola gerettet haben, und es zeigt sich in unseren Bemühungen für weltweite Entwicklungshilfe.

English Version of the Interview

Ich bin Bundeskanzlerin Merkel für ihre Einladung sehr dankbar, gemeinsam die Hannover Messe zu besuchen. Dabei können wir unterstreichen, wie wichtig Investitionen in Innovation, Wissenschaft und Technologien sind, die unsere wirtschaftliche Entwicklung voranbringen. Die Welt blickt weiterhin auf Deutschland als Vorreiter, wenn sich die Europäische Union ihren gegenwärtigen wirtschaftlichen Herausforderungen stellt und wir daran arbeiten, die weltweite wirtschaftliche Erholung aufrechtzuerhalten, die Nachfrage anzukurbeln und das Wachstum zu fördern.

Unsere Bürger, vor allem die jungen Leute, erwarten von uns, dass wir mehr Jobs und Chancen für sie schaffen. Je mehr Deutschland zu unserer gemeinsamen Sicherheit und unserem gemeinsamen Wohlstand beiträgt, desto besser für uns alle – hier in Europa und auf der ganzen Welt.“

Der 44. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika

Barack Obama wurde am 4. August 1961 als Sohn eines Kenianers und einer US-Amerikanerin auf Hawaii geboren. Nach einem Politikstudium promovierte er 1991 an der Harvard Law School, wo er 1988 seine Frau Michelle (52) kennenlernte.

Das Paar hat zwei Töchter, Malia Ann (17) und Natasha (14). 1996 wurde Obama in den Senat von Illinois gewählt, war acht Jahre Senator des Bundesstaates, bis er im Februar 2007 seine Präsidentschaftskandidatur bekannt gab.

Am 20. Januar 2009 wurde er erster afroamerikanischer Präsident der USA.

Keine zwei westlichen Regierungschefs kennen sich so lange und so gut wie Sie und Angela Merkel. Wie hat sich Ihr Verhältnis in den letzten Jahren entwickelt?

Obama: „Ich betrachte Angela Merkel als eine meiner engsten Partner und auch als Freundin. Seit ich mitten in der Finanzkrise mein Amt angetreten habe, arbeiten wir zusammen.

Wir haben einiges gemeinsam durchgemacht. Ich arbeite also schon länger mit ihr zusammen als mit irgendeinem anderen Regierungschef, und im Laufe der Jahre habe ich von ihr gelernt. Sie verkörpert viele jener Führungsqualitäten, die ich am meisten bewundere.

Sie lässt sich von Interessen und Werten gleichermaßen leiten. Das konnte die Welt an ihrer mutigen Haltung sehen, als die vielen Migranten nach Europa kamen.

Sie ist pragmatisch und konzentriert sich auf das tatsächlich Machbare. Wenn sie etwas sagt, meint sie es auch. Wenn sie sagt, dass sie etwas machen wird, dann macht sie es. Ich vertraue ihr.

Wenn es in den bilateralen Beziehungen einmal rumpelte, wie es unweigerlich mal zwischen zwei Ländern vorkommt, haben wir das partnerschaftlich gelöst, in gegenseitigem Respekt.

Außerdem ist Angelas Lebensgeschichte – vom in Ostdeutschland aufgewachsenen Kind zur Kanzlerin eines freien und vereinigten Deutschland und einer Hüterin Europas – eine Inspiration für Menschen auf der ganzen Welt, auch für mich. Es ist kein Wunder, dass sie immer wieder als eine der weltweit am meisten bewunderten politischen Persönlichkeiten eingestuft wird.

Sie ist eine eloquente Stimme und eine Streiterin für Freiheit, Gleichheit und Menschenrechte. Ich schätze die Partnerschaft mit ihr außerordentlich und ich bin stolz darauf, dass Angela meine Freundin ist.“

Herr Präsident, Ihr Besuch fällt in eine Zeit, in der Europa in der größten Krise seit Gründung der EU steckt. Was ist Ihre Botschaft an uns Europäer, an uns Deutsche?

Obama: „Zweifellos steht Europa vor ernsthaften Herausforderungen. Die Terrorangriffe in Paris und Brüssel waren nicht nur Anschläge auf zwei wunderbare Städte, sondern auch auf die Werte der Offenheit und Vielseitigkeit, die wir auf beiden Seiten des Atlantiks so sehr schätzen.

Europa muss mit der größten Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg zurechtkommen. Russlands Aggressionen gegen die Ukraine bedrohen unsere gemeinsame Vorstellung eines geeinten, freien und friedlichen Europa.

Das langsame Wachstum, das wirtschaftliche Ungleichgewicht und die anstehende Volksabstimmung in Großbritannien haben manche Leute dazu verleitet, die Zukunft der Europäischen Union infrage zu stellen. Mancherorts – auch in den Vereinigten Staaten – erleben wir, wie sich eine gefährliche politische Sprache Bahn bricht, die auf Einwanderer oder Muslime zielt.

Es steht mir nicht zu, Europa zu sagen, wie man Europa managt. Was ich sagen kann, ist, dass die Vereinigten Staaten ein nachhaltiges nationales Interesse an einem starken, vereinten und demokratischen Europa haben.

Wir haben schmerzhaft erfahren müssen, dass sich Bedrohungen für Europa letztlich zu Bedrohungen für die Vereinigten Staaten entwickeln. Und wenn in Europa Wohlstand herrscht, hilft das, den Wohlstand in Amerika zu befördern.

WIR STEHEN UND FALLEN GEMEINSAM.

Deswegen haben die Vereinigten Staaten die Europäische Integration immer so stark unterstützt. Trotz der heutigen Schwierigkeiten herrschen in Europa Sicherheit und Wohlstand in einem Maße, das Menschen auf der ganzen Welt beneiden. Diesen Fortschritt sollte man niemals für selbstverständlich halten.

Die Botschaft meiner Reise lautet also, dass die Vereinigten Staaten – oder vielmehr die ganze Welt – ein starkes, wohlhabendes und vereintes Europa brauchen. Wir brauchen die Fähigkeiten, die die europäischen Staaten in den Kampf gegen ISIL und al-Qaida einbringen können, überall von Syrien und dem Irak bis nach Afghanistan.

Wir brauchen Europa, um gegenüber unseren Verbündeten unserer Verpflichtung gemäß Artikel 5 gerecht zu werden und die Ukraine dabei zu unterstützen, sich gegen die russische Aggression zu sichern. Wir brauchen Europas Hilfe, um eine nachhaltige und ausgewogene wirtschaftliche Erholung auf der ganzen Welt voranzutreiben.

Dazu gehört auch, die Nachfrage im Inland anzukurbeln und Strukturreformen umzusetzen, die die EU stärken und das Wachstum fördern. Und einer der besten Wege, das Wachstum zu fördern und Arbeitsplätze zu schaffen, ist die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft, die ich auf der Hannover Messe auch diskutieren werde.

So würden wir den Handel stärken und Jobs in Amerika und in der Europäischen Union schaffen.“

Barack Obama in Hannover

Nicht nur die USA, auch europäische Hauptstädte sind zunehmend das Ziel islamistischen Terrors. Er gilt unserer Art zu leben, unseren freiheitlich-demokratischen Werten. Warum fällt uns der Kampf gegen den Terror so schwer?

Obama: „Der Terrorismus von Gruppen wie ISIL oder al-Qaida ist die größte Bedrohung, der wir gegenüberstehen, und zwar auf beiden Seiten des Atlantiks und auf der ganzen Welt.

Die Anschläge in Paris, Brüssel, San Bernardino, Istanbul und andernorts zeigen, dass diese Mörder vor nichts zurückschrecken, um so viele unschuldige Menschen zu töten, wie sie nur können. Der Kampf dagegen ist aus vielerlei Gründen schwierig. In Syrien und dem Irak hat sich ISIL inmitten der Zivilbevölkerung eingegraben. Im Cyberspace vergiftet ISIL auf der ganzen Welt die Gedanken von Menschen und drängt sie dazu, gewalttätig zu werden.

Obwohl wir es den Terroristen im Laufe der Jahre schwerer gemacht haben, große Anschläge wie die vom 11. September durchzuführen, ist es immer noch schwierig, kleine Terrorzellen und Einzeltäter vom Zuschlagen abzuhalten. Das haben wir auf tragische Weise gesehen.

Für mich hat die Zerschlagung von ISIL oberste Priorität. Deswegen führen die Vereinigten Staaten eine weltweite Koalition an, um ISIL in Syrien und im Irak zu besiegen und seine hasserfüllte Ideologie zu widerlegen. Bei der militärischen Kampagne – zu der Luftangriffe gegen ISIL-Ziele und die Ausbildung örtlicher Streitkräfte im Irak gehören – spielen unsere Nato-Verbündeten eine wichtige Rolle. Und wir machen Fortschritte.

Wir setzen Anführer von ISIL außer Gefecht und zwingen ISIL sowohl in Syrien als auch im Irak zum Rückzug. Das dort von ISIL kontrollierte Gebiet wird zusehends kleiner.

Eine unserer größten Herausforderungen besteht darin, dem Strom ausländischer Kämpfer Einhalt zu gebieten. Wir müssen sie davon abhalten, Syrien und den Irak zu erreichen und zurückzukehren, um in unseren Ländern Anschläge zu verüben. Im Laufe der Jahre haben die Vereinigten Staaten und unsere europäischen Partner immer mehr geheimdienstliche Erkenntnisse und Informationen ausgetauscht, Anschläge vereitelt und Leben gerettet.

In den Vereinigten Staaten haben wir wichtige Reformen unternommen, damit unsere geheimdienstlichen Programme transparenter sind und bürgerliche Freiheiten sowie die Privatsphäre geschützt werden – auch die Privatsphäre europäischer Bürger. Und die Vereinigten Staaten sind immer noch die Ersten, wenn es darum geht, dass die von der Regierung und privaten Unternehmen genutzten Daten und Technologien uns helfen, anstatt uns zu schaden. Wir wissen, wie wir unsere Sicherheit und unsere Werte schützen – und wir werden es tun.

Dennoch zeigen die Anschläge in Paris und Brüssel, dass wir mehr tun müssen, um Anschläge zu verhindern. Lobenswerterweise hat die EU ein neues Zentrum zur Terrorbekämpfung eingerichtet.

Und das Europäische Parlament hat gerade beschlossen, dass Fluggesellschaften Daten ihrer Passagiere weitergeben müssen, damit wir ausländische Terroristen besser davon abhalten können, unbemerkt in unsere Länder zu kommen. Wenn ein potenzieller Terrorist versucht, heimlich in unsere Länder einzudringen, müssen wir das wissen, damit wir ihn aufhalten können. Das Leben unserer Bürger hängt davon ab. Dieser Kampf wird auch in Zukunft schwierig bleiben und eine enge und anhaltende Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern erfordern. Ich bin jedoch absolut zuversichtlich, dass wir uns durchsetzen werden, wenn wir nur den Willen aufbringen, uns dieser Herausforderung zu stellen.“

Barack Obama in London

Für ihre Haltung in der Flüchtlingsfrage ist Angela Merkel so stark kritisiert worden wie kein anderer Regierungschef in Europa. Ist sie das moralische Gewissen Europas oder hat ihre Politik der offenen Grenzen die Flüchtlingskrise verschärft?

Obama: „Wie gesagt: Ich finde, dass die Haltung von Bundeskanzlerin Merkel in der Flüchtlingskrise mutig war – genauso wie die vieler Deutscher. Sie hat wahre politische und moralische Führung gezeigt. Die Flüchtlings- und Einwanderungspolitik ist in jedem Land schwierig. Ich glaube jedoch, dass die besten Führungspersönlichkeiten bereit sind, sich auch den schwierigsten Problemen zu stellen – gerade wenn die Lage nicht einfach ist.

Angela hat von unserer moralischen Verpflichtung gegenüber den Menschen gesprochen – darunter Familien und Kinder –, die aus fürchterlichen Umständen fliehen, wie etwa vor der Barbarei des Assad-Regimes in Syrien oder vor ISIL. Wir können nicht einfach unseren Mitmenschen die Tore verschließen, wenn sie in so großer Not sind. Das wäre ein Verrat an unseren Werten.

Angela hat erkannt, dass es einen geordneten Prozess geben muss, um Neuankömmlinge aufzunehmen und sie in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Deutschland sollte die ganze Last auch nicht alleine tragen – oder mit nur wenigen anderen Staaten gemeinsam. Das jüngste Abkommen zwischen der EU und der Türkei ist ein Schritt hin zu einer gerechteren Verteilung dieser Verantwortung. Bei der Umsetzung des Abkommens wird es sehr darauf ankommen, dass die Migranten anständig behandelt werden und die Menschenrechte gewahrt bleiben.

Gleichzeitig habe ich für die Vereinigten Staaten zugesagt, dieses Jahr 85 000 Flüchtlinge aus der ganzen Welt aufzunehmen – darunter mindestens 10 000 aus Syrien. Ich weiß, das ist wegen unserer Entfernung zu der Region viel weniger als Deutschland aufgenommen hat. Aber wir sind absolut entschlossen, unseren Teil beizutragen, auch wenn wir mit unseren ganz eigenen Migrationsproblemen in der westlichen Hemisphäre umgehen müssen.

Wir wissen, wie wir das auf verantwortliche Weise tun können, sodass unsere Sicherheit gewährleistet ist. Dazu gehören ausgiebige Kontrollen, damit wir wissen, wen wir in unser Land aufnehmen. Und im Herbst lade ich zu einem Treffen bei den Vereinten Nationen ein, um die Welt hinter neuen Beschlüssen zur globalen Flüchtlingskrise zu versammeln.“

Das Interview wurde schriftlich geführt