Abstimmung über Briten-Austritt am 23. Juni: Schicksalstag für Europa

Proteststurm nach Brexit-Deal in Brüssel ++ Britisches Kabinett stützt Cameron ++ Merkel: „Kompromisse schwer gefallen“ ++ Deutsche Wirtschaft in Sorge

Am 23. Juni entscheidet sich, ob Großbritannien in der EU bleibt – oder die Bürger für den Brexit, den Austritt stimmen!

Diesen Termin nannte Englands Premier David Cameron nach einer Sondersitzung mit seinen Ministern in Downing Street. Gleichzeitig erklärte er, dass sich sein Kabinett das Ziel gebilligt habe, Großbritanniens Mitgliedschaft in einer reformierten EU aufrecht zu erhalten.

Unterstützung, die er nach dem Proteststurm bitter nötig hat: Neben politischen Gegnern war auch die britische Presse über den Kompromiss der Gipfel-Nacht hergezogen.

Cameron versicherte, sein Kabinett wolle wie er Großbritanniens Mitgliedschaft in einer reformierten EU aufrecht erhalten.

Cameron versicherte, sein Kabinett wolle wie er Großbritanniens Mitgliedschaft in einer reformierten EU aufrecht erhalten.

Foto: Getty Images

Gegen 11 Uhr empfing Cameron seine Minister in Downing Street , um in einer Sondersitzung die Eckpunkte des Brexit-Deals zu erläutern, der Großbritannien einen Sonderstatus einräumt, wenn die Briten im Gegenzug mehrheitlich für einen Verbleib in der europäischen Union stimmen. Das britische Kabinett trat erstmals seit dem Falkland-Krieg vor mehr als 30 Jahren wieder an einem Samstag zusammen.

Nach Abschluss der zähen Verhandlungen hatte Cameron versprochen: „Ich werde mich mit meinem ganzen Herzen und meiner ganzen Seele einsetzen, um die Briten zu überzeugen, in der reformierten EU zu bleiben.“ Am Samstag sagte er: „Wir gehen auf eine der größten Entscheidungen zu, die dieses Land zu unseren Lebzeiten trifft”.

Der Inhalt ist leider nicht mehr verfügbar.

Brexit-Befürworter schießen aus allen Rohren

Als hätten sie darauf nur gewartet, attackierten die EU-Gegner David Cameron für seine Kompromiss-Linie heftig.

Die Vereinbarung sei „das Papier nicht wert, auf der sie geschrieben ist“, sagte Nigel Farage von der rechtspopulistischen UKIP.

Kritiker sitzen auch am Kabinettstisch: Nach der Sondersitzung kündigten fünf Minister an, sich in der Kampagne für einen „Brexit” einzusetzen, darunter Justizminister Michael Gove und Arbeitsminister Iain Duncan Smith.

Bis zu einem Fünftel der Tory-Abgeordneten seien Brexit-Befürworter.   

Auch der Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn äußerte sich kritisch. Camerons Verhandlungen in Brüssel seien lediglich eine „theatralische Sideshow mit dem Ziel, seine Gegner in der konservativen Partei zu beruhigen“, sagte Corbyn. Er werde sich aber für einen Verbleib in der Gemeinschaft einsetzen, fügte Corbyn hinzu.

Immerhin: Cameron konnte seine Kernforderungen durchsetzen – ein Mitspracherecht bei für London relevanten Entscheidungen der Eurozone sowie die Möglichkeit, frisch zuwandernden EU-Bürgern vier Jahre lang Sozialleistungen zu verwehren.

Merkel: „Haben Großbritannien nicht zu viel gegeben“

Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte, manche Kompromisse seien ihr nicht leicht gefallen,. Das gelte vor allem für das Ziel einer „immer engeren Union“, von dem sich London nun verabschiedet habe. „Das ist eine emotionale Frage. Ich gehöre zu denen, die dafür sind, dass die Integration fortschreitet.“

Auch beim Thema Sozialmissbrauch hätte sie sich andere Lösungen vorstellen können, sagte Merkel. Insgesamt aber stellte sie fest: „Ich glaube, dass wir Großbritannien nicht zu viel gegeben haben.“ Die von Großbritannien durchgesetzte Absenkung des Kindergelds für Eltern aus anderen EU-Staaten könnte auch in Deutschland kommen.

Deutsche Wirtschaft tief besorgt

Angesichts des anstehenden Referendums hat die deutsche Wirtschaft vor einem solchen Schritt gewarnt. „Ein Brexit wäre der Schneeball, der eine Lawine in Gang setzen kann“, sagte der Präsident der Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), Ingo Kramer. Er erwarte für diesen Fall „eine spürbare Erosion der europäischen Einheit“.

Kramer warnte gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, im Fall eines EU-Austritts würde der Handel gerade zwischen Deutschland und Großbritannien leiden.

Briten-Presse fällt über Cameron her

Die britische Presse hat am Samstag mehrheitlich skeptisch auf die Brüsseler Vereinbarungen reagiert. „Camerons Rückzieher”, titelte die Zeitung „Daily Express” auf ihrer Website. „Nennst Du das einen Deal, Dave?”, fragte die „Daily Mail”.

Die „Times” sprach von einer „dünnen Haferbrei”, den Cameron aus Brüssel heimbringe. Aus dem „Land der Pralinen” Belgien habe sich das Königreich Besseres erwartet.

Cameron müsse nun für „das alte Argument” werben, dass Großbritannien innerhalb einer reformierten EU besser aufgehoben sei als außerhalb. Ihn erwarte ein „harter Kampf”.

In einer Meinungsumfrage des Instituts Survation aus dem Januar hatten sich 47 Prozent der Befragten für einen Verbleib in der EU ausgesprochen, 53 Prozent für einen Austritt. Das Parlament muss dem Datum der Volksabstimmung noch zustimmen. Cameron will am Montag zu den Abgeordneten sprechen.

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.