Geschäfte mit ISIS und Korruption: Erdogans schillernder Clan

Ein Tag nach dem Rückzug des türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu am Donnerstag wird deutlich, wie vehement Präsident Recep Tayyip Erdogan seine Macht am Bosporus ausbaut.

Türkei-Experten sind sich einig: Davutoglu war Erdogan mit seiner Profilierung bei den EU-Flüchtlingsverhandlungen und der Kritik am von Erdogan gewünschten Präsidialsystem zu mächtig geworden.

Erdogan machte am Samstag auch erneut deutlich, dass er von der EU-Forderung nach einer Änderung der Terrorgesetze in der Türkei nichts hält: „Diejenigen, die uns wegen unseres Kampfes gegen den Terror kritisieren, haben Demokratie und Freiheit zu den Akten gelegt, als die Bomben auf ihrem eigenen Boden zu explodieren begannen“, sagte Erdogan nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu.

Heißer Nachfolgekandidat für den Posten des Premiers ist deshalb auch ein enger Vertrauert Erdogans: sein Schwiergersohn und Energieminister, Berat Albayrak.

Der 38-Jährige ist seit 2004 mit der ältesten Erdogan-Tochter Esra verheiratet und somit seit langem fester Bestandteil des Clans. Zudem gilt Albayrak als glühender Verehrer seines Schwiegervaters. Mehr Loyalität kann sich Erdogan nicht wünschen.

Erdogans neuer Präsidenten-Palast in Ankara

Erdogans neuer Präsidenten-Palast in Ankara

Foto: Getty Images

Ein mächtiger Zirkel

Sie verschanzen sich hinter hohen Mauern im Istanbuler Stadtteil Üsküdar. Fünf Villen bewohnt die Erdogan-Familie dort – alle sind im Besitz der Söhne Ahmet und Bilal. Wert: rund sechs Millionen Euro.

Erdogan selbst wohne hier nur zur Miete, heißt es.

Während ihr Vater im Jahr gerade einmal rund 50 000 Euro verdient, schwimmen die Kinder in Geld. Woher das stammt? Offizielle Angaben gibt es nicht.

Laut der oppositionellen Zeitung „Cumhuriyet“ sollen sich alle, bis auf die jüngste Tochter, unternehmerisch engagieren – in Branchen wie Kosmetik, Fertiggerichten, Schifffahrt und Juwelen.

Die Mitglieder des Erdogan-Clans

Die Ehefrau: Emine (61)

Bei großen Auftritten ist sie immer an Erdogans Seite. Ansonsten hält sie sich dezent im Hintergrund. Meistens zumindest.

Zuletzt sorgte die Erdogan-Gattin für Schlagzeilen, als sie die Vorzüge eines Harems pries.

„Der Harem war eine Schule für Mitglieder der osmanischen Dynastie und eine Lehreinrichtung, in der Frauen auf das Leben vorbereitet wurden“, sagte sie Anfang März. Kritiker warfen ihr danach vor, eine Zeit zu beschönigen, in der Frauen als Sex-Sklavinnen gehalten wurden und keine Rechte hatten.

► Der älteste Sohn: Ahmet Burak Erdogan (36)

Der erste Erdogan-Spross stieg vor einigen Jahren groß in Seefracht-Geschäft ein. An seiner Seite damals noch Großreeder Mecit Çetinkaya. Heute sollen Bural Erdogan 99 Prozent der MB-Reederei gehören.

Sein Vermögen wird auf mindestens 80 Millionen Dollar geschätzt.

Gerüchte ranken sich darum, wie er an das Geld für den Einstieg ins Schifffahrtsgeschäft gekommen ist. Immer wieder werden zudem Fragen laut, ob er bei Geschäften von der Regierung begünstigt wird.

1998 hatte der älteste Erdogan-Sohn in Istanbul die Sängerin Sevim Tanürek überfahren, die wenig später im Krankenhaus an ihren Verletzungen starb. Erdogan-Junior beging Fahrerflucht – er hatte keinen Führerschein. Zum Prozessauftakt war der Täter plötzlich verschwunden. Er sei wegen eines Sprachkurses in England verhindert, hieß es. Später änderte der Verkehrsgutachter seine Meinung und den Bericht. Tanürek sei selbst Schuld an dem Unfall gewesen. Der Gutachter wurde kurz darauf von Erdogan zum Vize der staatlichen Schifffahrtsgesellschaft ernannt.

Ahmet selbst gilt heute als abgetaucht. Selbst auf Familienfeiern und Hochzeiten lässt er sich nicht blicken.

► Der jüngste Sohn: Necmettin Bilal Erdogan (35)

Immer wieder taucht der Erdogan-Sohn in Zusammenhang mit dubiosen und kriminellen Geschäften in den Medien auf.

Korruptionsskandal 2013

Erdogans jüngster Sohn soll (für den Verein TÜRGEV) öffentlichen Grund in Istanbul statt für den Marktwert von 230 Mio. Dollar für nur 1,2 Mio. Dollar zur 30-jährigen Pacht erhalten haben. Erdogans Sohn und der Verein bestreiten alle Vorwürfe.

Bilal Erdogan sollte vernommen werden, sogar eine Inhaftierung drohte. Sein Vater, damals Ministerpräsident, ließ den Staatsanwalt kurzerhand von seinen Aufgaben entbinden.

Die Opposition forderte den Rücktritt Erdogans als Ministerpräsident.

Anlass waren angebliche Mitschnitte von Telefonaten mit Bilal, die im Internet aufgetaucht waren. Die Telefonate sollen vor allem am 17. Dezember 2013 stattgefunden haben. An dem Tag wurden Dutzende Verdächtige aus dem Umfeld der Regierungspartei AKP unter Korruptionsverdacht festgenommen.

Auf den Aufnahmen weist angeblich Erdogan seinen Sohn an, Geld wegzubringen, das er in seinem Haus aufbewahrt hatte.

„Bringe alles weg, was in deinem Haus ist”, sagt die Stimme des älteren Gesprächsteilnehmers in einem Telefonat, dessen Zeitpunkt mit 8.02 Uhr am Morgen angegeben wird. „Dein Geld ist im Tresor”, antwortet die jüngere Stimme. In einem anderen Gespräch, dessen Zeit mit 23.15 Uhr angegeben wird, sagt die jüngere Stimme, 30 Millionen Euro hätten noch nicht „aufgelöst” werden können. Sie fragt dann: „Soll etwas Geld bei dir verbleiben?” In einem fünften und letzten Telefonat warnt die ältere Stimme: „Sohn, du wirst abgehört.”

Handel mit ISIS-Öl

Die britische Zeitung „The Guardian“ deckte im vergangenen Jahr auf, dass türkische Geschäftsmänner lukrative Verträge mit den ISIS-Terroristen abgeschlossen hätten. Demnach sollen mindestens zehn Millionen Dollar pro Woche in die Kriegskassen der Mörder-Miliz geflossen sein – mehr als 500 Millionen Dollar im Jahr. Einer dieser Geschäftsleute soll Bilal Erdogan sein.

Seit September 2015 lebt er mit seiner Familie in Bologna in Italien – offiziell, um seine Doktorarbeit zuende zu schreiben. Dir örtlichen Behörden ermitteln aber seit März wegen Geldwäsche gegen ihn.

Der Vorwurf: Er soll dort das Familienvermögen, das aus dem Korruptionsskandal stammt, reinwaschen.

► Die älteste Tochter: Esra Erdogan (34)

Auch Esra Erdogan war in den Korruptionsskandal von 2013 verwickelt. Sie sitzt neben ihrem Bruder im Vorstand der dubiosen Türgev-Stiftung.

Ihr Mann könnte nach dem Davutoglu-Rücktritt neuer türkischer Ministerpräsident werden. Er gilt als heißer Kandidat und als loyaler Weggefährte seines Schwiegervaters.

Erdogan selbst hatte die Ehe seiner Tochter mit dem politischen Hoffnungsträger arrangiert.

► Die jüngste Tochter: Sümeyye Erdogan (30)

Während die anderen Kinder kaum politisch interessiert sind, ernannte sich Sümeye schon mit 25 zur ehrenamtlichen Beraterin ihres Vater – begleitete ihn auf Auslandsreisen und fungierte für ihn als Dolmetscherin. 

Übrigens: Die Studiengebühren für die Erdogan-Sprösslinge an US-Universitäten, die sich zeitweise auf 100 000 Euro im Jahr beliefen, zahlte der Textilunternehmer Remzi Gür. Ein Freundschaftsdienst, wie es von Seiten der Familie heißt. Über Gegenleistungen wurde nur hinter vorgehaltener Hand spekuliert.

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