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Der frühere ukrainische Premier Mykola Asarow (im Bild vor einem Poster von Russlands Präsident Wladimir Putin) wirft seinem Nachfolger Arsenij Jazenjuk Milliardendiebstahl vor und erhebt auch schwere Vorwürfe gegen die EU.

Foto: Reuters / Sergei Karpukin

STANDARD: Sie haben vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Sanktionen gegen Sie geklagt und gewonnen. Worum ging es konkret?

Asarow: Ich habe den Prozess gewonnen, aber die EU hat inzwischen neue Sanktionen verhängt. Nun klage ich wieder. Das ist ein ewiger Kreislauf. Welche Aktiva die in Brüssel beschlagnahmt haben, das interessiert mich selbst.

STANDARD: Sie haben also kein Eigentum in Europa?

Asarow: Nein, ich habe keine Aktiva in Europa. Mein ukrainisches Eigentum wurde eingefroren: mein Konto, auf das mein Gehalt, meine Rente und meine Honorare eingegangen sind, mein Haus und meine Wohnung. Das alles wurde unter einem Vorwand konfisziert.

STANDARD: Was sind die Vorwürfe?

Asarow: Die Vorwürfe sind lächerlich: So wird mir vorgeworfen, gegen den Maidan den Einsatz von Wasserwerfern erlaubt zu haben. Das ist schon deswegen zynisch, weil die Banditen dort bewaffnet waren und geschossen haben. Doch ich habe einen solchen Erlass nie unterzeichnet.

STANDARD: Was hat denn überhaupt zum Umsturz geführt?

Asarow: Hauptfaktor war die Ausbildung bewaffneter Kämpfer durch den US-Geheimdienst in Polen und Litauen. Der Umsturz war für 2015 unter dem Vorwand gefälschter Wahlen geplant.

STANDARD: Hat nicht der Ärger über Korruption zum Maidan geführt?

Asarow: Natürlich haben Korruption und Wirtschaftsprobleme die Menschen erregt. Aber heute ist es um ein Vielfaches schlimmer. Unsere Führung war in keinen Korruptionsskandal verwickelt.

STANDARD: Und was ist mit dem Meschigorje-Palast von Ex-Präsident Wiktor Janukowitsch?

Asarow: Ja, aber das ist nicht vergleichbar mit (Premier Arsenij) Jazenjuk, der gerade seine erste gestohlene Milliarde (Dollar, Anm.) feiert. Janukowitschs Datscha Meschigorje ist mit etwa zehn Millionen eine Kleinigkeit.

STANDARD: Wie schätzen Sie die aktuelle Lage in der Ukraine ein?

Asarow: (Präsident Petro) Poroschenko und Jazenjuk sind Kleptomanen. Ihr Gehorsam gegenüber allen Befehlen des IWF hat eine weitere negative Rolle gespielt. Die Ukraine hat nach zwei Jahren der IWF-Ratschläge 34 Prozent ihres BIP eingebüßt, die Einkommen der Ukrainer sind auf ein Drittel gesunken. Die Wirtschaft steht vor dem Aus. Das Rating von Poroschenko und Jazenjuk ist daher verheerend.

STANDARD: Welches Ziel hat Ihr Komitee zur Rettung der Ukraine?

Asarow: Ich kehre zurück. Ich sehe, wie die Ukraine wiederaufzubauen ist, wie sie ihren Weg nach Europa fortsetzen kann. Der ist lang: 30, vielleicht 50 Jahre. Das Komitee bereitet junge Leute vor, die diesen Weg gehen wollen.

STANDARD: Wie wollen Sie die Spaltung der Ukraine überwinden?

Asarow: Die Regionen müssen sich so entwickeln können, wie sie wollen. Der Westen des Landes soll sich nach Europa orientieren; aber auch der Südosten mit seiner russischen Bevölkerung sollte so leben, wie er es gewohnt ist. Die Ukraine braucht ein föderales System ohne Umverteilung der Gelder, die zumeist im Südosten eingesammelt werden. Der Donbass wird sich dieser Obrigkeit nicht unterordnen. Zu viel ist zerstört worden, so viel Blut wurde vergossen. Es ist eine Regierung nötig, die den Donbass zufriedenstellt.

STANDARD: Wie erfolgt denn der Regierungswechsel?

Asarow: Man wird sich bis zuletzt an die Macht klammern. Der Krieg ist Mittel zum Überleben. Ich hoffe auf den Verstand der Amerikaner und Europäer: Ihr habt ein gespaltenes Land bekommen, in das ihr jährlich 20 bis 30 Milliarden buttern müsst. Braucht ihr an eurer Grenze ein zweites Syrien? Es gibt nur einen Ausweg: die Wiederherstellung demokratischer Normen. Lasst die Opposition arbeiten. Nur die USA und die EU können Kiew dazu bewegen.

STANDARD: Gehört die Krim zur Ukraine oder zu Russland?

Asarow: Ohne Umsturz wäre die Krim noch ukrainisch. Eine militärische Lösung gibt es nicht. Wir dürfen nicht vergessen: Die Ukraine kann sich nur vorwärts entwickeln, wenn sie gute Beziehungen zu Russland und Europa hat.

STANDARD: Welche Rolle spielte das Assoziationsabkommen in der Entwicklung, die zum Maidan führte?

Asarow: Ich habe das Abkommen persönlich vorbereitet. 2011/2012 war das eigentlich schon fertig und wir waren bereit, es zu unterschreiben. Aber 2013 verschlechterten sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Grund war die globale Finanzkrise, die die Preise für Metalle – unser Hauptexportgut – in den Keller schickten. Auch der Handel mit Russland war rückläufig, der Gaspreis hingegen war hoch; 500 Dollar pro 1.000 Kubikmeter. Darum habe ich genau analysiert, was nun zu tun sei. Die Wahlen 2015 standen bevor und wir durften keine Verschlechterung der Wirtschaftslage zulassen. Bei der Analyse habe ich festgestellt, dass unsere Handelsbilanz mit der EU einen Saldo von zehn Milliarden aufwies. Deren Güter haben aufgrund der höheren Qualität und niedriger Zölle unsere vom Markt gedrängt. Auf der anderen Seite hatten wir eine negative Bilanz mit Russland über fünf Milliarden. Ich habe daher darum gebeten, das Abkommen so anzupassen, dass unsere Handelsbilanz ausgeglichener wird. Denn eine völlige Öffnung unseres Marktes hätte zum Zusammenbruch unserer Wirtschaft geführt.

STANDARD: Warum sind Sie erst nach drei Jahren zu dem Schluss gekommen?

Asarow: Weil sich die Wirtschaftslage verschlechtert hat: 2010 hatten wir 5,5 Prozent Wachstum; 2011 5,2 Prozent Wachstum; 2012 hatten wir trotz marktbelebender Maßnahmen Null Prozent; 2013 nur 0,2 Prozent. Es war offensichtlich, dass wir Probleme bekamen. Ich habe gesehen, dass wir mit Russland wegen der Gaspreise verhandeln müssen und Kredite brauchen. Ich habe mit China Investitionen über 24 Milliarden Dollar vereinbart. Ich habe unsere Verhandlungspartner in der EU darum gebeten, sich in unsere Lage zu versetzen: Für Euch ist die Östliche Partnerschaft ein Fetisch, aber für mich steht das Schicksal meines Landes auf dem Spiel, habe ich gesagt. Aber die EU konnte nicht mehr Waren von uns abnehmen.

STANDARD: Eine Assoziation hätte also nicht das Ende der Quoten bedeutet?

Asarow: In dem Abkommen wird eben die Lieferung von Landwirtschaftsprodukten quotiert. Aber niemand hat das Abkommen gelesen. Poroschenko und Jazenjuk auch nicht. Ich habe es gelesen, weil ich es mit ausgearbeitet habe.

STANDARD: Aber wenn Sie es mit ausgearbeitet haben, müssen Sie die Einschränkungen doch von Beginn an gesehen haben?

Asarow: Wenn meine Wirtschaft wächst und ich einen Profit habe, kann ich ein Auge zudrücken. Mehr noch: Zur Modernisierung der Wirtschaft brauche ich neue Maschinen. Die kommen aus Europa. Aber wenn ich mit einer Krise zu kämpfen habe, geht das nicht. Dann müsst Ihr mir mit Krediten und Investitionen helfen, oder dabei, meine Waren auf Eurem Markt zu verkaufen. Meine Erfahrung bei der Zusammenarbeit mit der EU-Kommission hat mir gezeigt: Die europäischen Beamten haben sich mit unseren Problemen nicht beschäftigt. Sie haben sie nicht verstanden – und wollten sie nicht verstehen. Sie haben sich mehr von politischen als wirtschaftlichen Zielen leiten lassen. Das hat mich dazu veranlasst, einen Aufschub der Assoziation zu fordern, bis wir einen Kompromiss mit Russland und der EU-Führung gefunden haben. Denn auf dem russischen Markt verlieren wir durch das Abkommen mindestens 20 Milliarden Dollar.

STANDARD: Mit dem Kurswechsel waren die Menschen unzufrieden.

Asarow: Ich habe Ihnen gesagt: Wir können das machen, wenn Ihr bereit zu Tariferhöhungen seid. Doch ihr wollt das nicht. Ihr werdet von den Anführern des Maidan betrogen. Sie sagen Euch: Morgen habt ihr europäische Gehälter und Renten. Aber das ist gelogen. Das kommt nicht morgen und nicht übermorgen und vielleicht nicht einmal in 20 Jahren. (André Ballin, 3.3.2016)