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Starker, schwacher Erdogan

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp
20. Februar 2016

Für den Terroranschlag in Ankara macht die Türkei die syrischen Kurden verantwortlich. Umgehend hat sie den Kampf an dieser Front intensiviert. Dass sie langfristig gewinnt, ist mehr als fraglich, meint Kersten Knipp.

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Der türkische Präsident Recep Erdogan, 17.02.2016 (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/Turkish President Press Office

Wenn nicht Bewunderung, so doch Erstaunen erregt international die Arbeit der türkischen Polizei. Binnen Stunden hat sie es laut eigener Aussage geschafft, den Urheber des tödlichen Anschlags in Ankara zu identifizieren. Es handele sich um den 1992 geborenen syrischen Kurden Salih N., der im vergangenen Frühjahr in die Türkei gereist sei. Der junge Mann habe Verbindungen zur PYD, der syrischen Kurdenpartei mit engen Verbindungen zur PKK.

Dass das Erstaunen sich nicht zur Bewunderung auswächst, liegt daran, dass eindeutige Beweise für die Urheberschaft des jungen Syrers bislang noch ausstehen. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sprach zwar von "Informationen und Belegen", verzichtete aber darauf, diese näher zu erläutern oder gar zu präsentieren. Zugleich dementierte die PYD jegliche Verbindung zu dem Anschlag.

Erdogan hat sich entschieden

Das aber beeindruckt die türkische Regierung wenig. Bald nach dem Anschlag startete sie ihre bislang heftigsten Angriffe auf PYD-Gebiete rund um Aleppo.

Damit hat sich Erdogan endgültig festgelegt: Die Türkei bekämpft fortan nicht so sehr die Terrorgruppe "Islamischer Staat". Sie bekämpft auch nicht so sehr den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad. Stattdessen bekämpft sie vor allem die syrischen Kurden. Dass diese einen eigenen Staat in unmittelbarer Nachbarschaft der Türkei errichten wollen, ist Ankara ein Gräuel. "Wir werden niemals erlauben, dass an unserer Südgrenze ein neues Kandil entsteht" erklärt Erdogan am vergangenen Mittwoch. Das irakische Kandil ist das Hauptquartier der PKK.

Außenpolitische Konsequenzen

Die Türkei gegen die Kurden: Die Entscheidung, die Erdogan nun getroffen hat, wird nicht ohne außen- und innenpolitische Konsequenzen bleiben. Außenpolitisch dürfte sie das Verhältnis sowohl zu den USA wie auch zu Russland belasten. Beide halten die Hand über die YPG, den bewaffneten Arm der PYD. Die YPG ist für beide ein wertvoller Partner im Kampf gegen den IS.

Wie die Türkei angesichts dieser beiden Schutzmächte wirkungsvoll gegen die YPG vorgehen will, bleibt Geheimnis des türkischen Generäle. Würde die Türkei nämlich in Syrien einmarschieren oder auch Flugzeuge dorthin schicken, sähe sie sich umgehend russischem Militär gegenüber. Zwar hat das türkische Heer im November bewiesen, dass es russische Jets abschießen kann. Aber dürfte bei diesem einmaligen symbolischen Akt bleiben.

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DW-Redakteur Kersten Knipp

Dieser hat sie ohnehin ins politische Abseits geführt: So haben die syrischen Kurden seit kurzem ein Verbindungsbüro in Moskau. Das schmerzt die Türkei - und freut den russischen Präsidenten allein schon darum. In Putin hat der Zyniker Erdogan, der bis vor einiger Zeit nichts dabei fand, Dschihadisten durch die Türkei nach Syrien einreisen zu lassen, unübersehbar seinen Großmeister gefunden. Putins Flugzeuge bomben nicht zuletzt den YPG-Kämpfern das Terrain frei - das diese eben jenem kurdischen Staat einverleiben wollen, den Erdogan unbedingt, letztlich aber wohl vergeblich verhindern will.

Innenpolitische Risiken

Auch innenpolitisch wird Erdogans anti-kurdischer Kurs nicht ohne Folgen bleiben. Denn die in der Türei lebenden Kurden werden sehr genau verfolgen, wie der Präsident mit ihren Landsleuten auf der anderen Seite der Grenze umgeht. Die PKK hat zwar die Verantwortung für das Attentat in Ankara abgelehnt. Ihr Hinweis aber, der Anschlag sei womöglich aber ein "Vergeltungsschlag für die Massaker in Kurdistan gewesen sein", ist eine zarte Andeutung, wieweit die PKK im Zweifel zu gehen bereits ist. In anderen Worten: Es ist eine deutliche terroristische Warnung.

All dies tut der Türkei nicht gut. Weniger Touristen kommen ins Land, die Wirtschaft gerät ins Stocken, die Inflation steigt. Hinzu kommen die syrischen Flüchtlinge, deren Akzeptanz bei der türkischen Bevölkerung ebenfalls sinkt. All dies lässt den innenpolitischen Druck steigen. Doch Erdogan tut außen- wie innenpolitisch nichts, um ihn abzusenken.

Das könnte ihn langfristig in Bedrängnis bringen. Für den starken Mann, der Erdogan sein will, ist er derzeit sehr, sehr schwach. Er braucht einen außenpolitischen Partner. Das kann nur die EU sein - die, Stichwort Flüchtlinge, ihrerseits einige Wünsche an die Türkei hat. Das bessert ihre Verhandlungschancen. Für die Türkei und die EU könnte das Anlass einer verstärkten Zusammenarbeit sein.

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Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika