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Schuldenkrise Puerto Rico, das Griechenland Amerikas

Von Barry Eichengreen
Griechenlands Krise könnte schon vor Jahren gestoppt worden sein: Wenn Europas Politiker nicht so halsstarrig einen Schuldenschnitt abgelehnt hätten. Sie sollten sich ein Beispiel daran nehmen, wie die Amerikaner auf die Probleme von Puerto Rico reagierten.
Straßenkünstler in Puerto Rico: Das Sorgenkind der USA

Straßenkünstler in Puerto Rico: Das Sorgenkind der USA

Foto: Ricardo Arduengo/ AP/dpa

In Puerto Rico erleben die USA gerade ihr eigenes Griechenland. Der Freistaat kann seine Schulden nicht mehr tragen. Es gibt zu viele Staatsbedienstete und zu hohe Renten. Die Schwarzarbeit in der Schattenwirtschaft, wo keine Steuern bezahlt werden müssen, ist weit verbreitet. Eine moderne Infrastruktur gibt es nicht. Für die Größe seiner Wirtschaft exportiert das Territorium zu wenig. Viele seiner klügsten und bestausgebildeten Köpfe sind ausgewandert, auf der Suche nach besseren Aussichten. Und weil sich diese Probleme über eine lange Zeit aufgebaut haben, wird es Jahre dauern, sie zu lösen.

Puerto Rico ist also buchstäblich Griechenland in anderer Gestalt. Aber ist vorstellbar, dass die USA ihre gesamte Innen- und Außenpolitik auf Eis legen, während sie versuchen, diese Krise zu lösen? Das ist eine lächerliche Vorstellung, aber genau das hat Europa getan.

Europa hat es bis heute nicht geschafft, einen Kompromiss zu finden, um sein Flüchtlingsproblem im Mittelmeer zu lösen. Es war nicht in der Lage, Wladimir Putins Einfall in die Ukraine und seinen verschleierten Drohungen an die Osteuropäer wirklich etwas entgegenzusetzen, und gleichzeitig sah es zu, wie sich Athen Moskaus Orbit annähert. Es war unfähig, eine kohärente Antwort auf die Vorgänge in Syrien zu finden - oder auch nur kontinuierlich hinzusehen.

Ein Teil des Problems ist, dass die politischen Anführer Europas und ihre Bürger hauptsächlich mit der endlosen Abfolge von Briefings zur Eurokrise und spätnächtlichen Krisensitzungen beschäftigt sind - und entsprechend erschöpft davon. Zweifellos ist die griechische Regierung schwierig und erratisch. Aber die politischen Anführer Europas haben durch ihre Halsstarrigkeit dazu beigetragen, dass dieses Problem überhaupt entstanden ist.

Keine Lösung für Europa ohne Schuldenschnitt für Griechenland

Sie haben zugelassen, dass die Interessen ihrer Banken über jenen des griechischen Volkes standen - und zwar, indem sie es abgelehnt haben, ernsthaft über eine Reduzierung der griechischen Schulden nachzudenken, als das 2010 zur Debatte stand. Um sich selbst zu rechtfertigen, erhoben sie die Vorstellung, dass Schulden in jedem Fall bezahlt werden müssen, in den Stand eines religiösen Glaubens.

Fünf Jahre später weigern sie sich immer noch. Und Griechenland braucht immer noch eine umfassende Reduzierung seiner Schulden. Eines Tages werden sie das wohl begreifen, auch wenn Herr Schäuble sich weiterhin querstellen wird. Und bis dahin wird es keine Lösung der Krise geben. Leider wird Europa deshalb wohl noch Monate oder Jahre unproduktiver Verhandlungen erleben müssen, bis es endlich an diesen Punkt gelangt.

Die Idee eines "immer engeren Zusammenschlusses der europäischen Völker", festgeschrieben in den Römischen Verträgen, ist das bedauerlichste Opfer dieser Ereignisse. Helmut Kohl glaubte später, wie andere auch, dass eine tiefe währungspolitische Integration logisch und unausweichlich zu tiefer politischer Integration führen würde - und dass diese nicht nur eine gemeinsame Strategie für wirtschaftliches Wachstum ermöglichen würde, sondern auch eine gemeinsame europäische Außenpolitik.

Tragischerweise hat sich das Gegenteil als wahr erwiesen: Die Geburtswehen des Euro haben die europäischen Regierungen und ihre Bürger weiter auseinandergetrieben. Während die politischen Anführer weiterhin die Sprache der Kooperation und der tieferen Integration sprechen, wollen ihre Bürger nichts mehr davon wissen. In ganz Europa rückt wieder das enge nationale Interesse in den Vordergrund.

Die griechische Krise hätte vermieden werden können

Nichts an dieser desaströsen Wende war unvermeidlich. Sie resultiert daraus, dass die Krise auf katastrophale Weise gemanagt wurde. Mit ein wenig intellektueller Flexibilität hätte sie 2010 gelöst werden können - wenn Griechenland damals ein vollständiger Schuldenschnitt im Gegenzug zu Wirtschaftsreformen angeboten worden wäre. Dann hätte das Land einen Absturz um 25 Prozent seiner Wirtschaftsleistung seit 2007 vermeiden können. Entfremdete Wähler hätten sich nicht verpflichtet gefühlt, ihre politische Klasse zu bestrafen, indem sie eine Truppe radikaler Neulinge wählt. Europa hätte die griechische Krise hinter sich lassen und zu den wichtigen Dingen zurückkehren können.

Der amerikanische Kongress wird nun ein Gesetz verabschieden, das Puerto Rico Zugang zu amerikanischen Konkursgerichten verschafft. Die Schulden des Territoriums werden restrukturiert, und all jene, die waghalsig genug waren, ihm Geld zu leihen, werden sehen, dass ihre Ansprüche radikal abgeschrieben werden müssen. Wenn die Regierung der Insel von ihren haushohen Schulden befreit ist und Reformen verabschiedet hat, werden die USA weitere Hilfen anbieten.

Aber Puerto Rico wird sich in erster Linie auf einer Nebenbühne abspielen. Die amerikanischen Politiker konzentrieren sich auf das Wachstum der amerikanischen Wirtschaft. Sie werden darüber sprechen, wie die Ungleichheit und die Gewalttaten im Land angegangen werden können. Sie werden an einer Außenpolitik arbeiten, die auf ein selbstbewussteres China, ein aggressiveres Russland und einen zerstörerischen "Islamischen Staat" ausgerichtet ist.

Ob ihnen das gelingt, bleibt abzuwarten. Niemand sollte die Fähigkeit amerikanischer Politiker unterschätzen, alles falsch zu machen. Aber es wird zumindest nicht Puerto Rico sein, das sie davon ablenkt. Es wäre schön, das Gleiche ließe sich über die Europäer und Griechenland sagen.

Zum Autor
Foto: UC Berkeley

Barry Eichengreen (Jahrgang 1952) ist Professor für Wirtschaft und Politikwissenschaft an der University of California in Berkeley.