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Interview zu angeblichen MH17-Manipulationen "Bellingcat betreibt Kaffeesatzleserei"

Russland soll Satelliten-Aufnahmen zur MH17-Katastrophe gefälscht haben, behauptet die Recherchegruppe Bellingcat. Der Bildforensiker Jens Kriese kritisiert die Analyse. Ob Moskau lügt, lasse sich nicht mit Sicherheit sagen.
Bellingcat-Analyse der russischen Satellitenbilder: "Die Schlussfolgerung hängt immer vom Blickwinkel des Menschen ab"

Bellingcat-Analyse der russischen Satellitenbilder: "Die Schlussfolgerung hängt immer vom Blickwinkel des Menschen ab"

Foto: bellingcat.com
Zur Person
Foto: Jens Kriese

Jens Kriese studierte Biologie an der Justus-Liebig Universität in Gießen und arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Forschung und E-Learning. Er entwickelte das Bildarchiv IRISPIX und analysiert Fotografien. In Hamburg betreibt er ein Büro für digitale Bild-Forensik.

SPIEGEL ONLINE: Die Recherche-Gruppe Bellingcat sagt, sie habe Russlands Verteidigungsministerium forensisch Manipulationen nachgewiesen. Es geht um Bilder zum Abschuss von MH17.

Kriese: Der Begriff "forensische Analyse" ist nicht geschützt. Das Bellingcat-Vorgehen ist aus forensischer Sicht aber nicht griffig. Sie stützen sich im Kern auf sogenannte Error Level Analysen (ELA). Das Verfahren ist nicht streng wissenschaftlich und subjektiv. Aus diesem Grund gibt es keinen einzigen Fachaufsatz, der sich mit dieser Methode befasst.

SPIEGEL ONLINE: Wo ist der Haken?

Kriese: Forensiker setzen Computerverfahren ein, die möglichst eindeutige Schlussfolgerungen erlauben: manipuliert, ja oder nein? Anders als Bellingcat behauptet, liefert die Error Level Analyse keine eindeutigen Ergebnisse. Die Schlussfolgerung hängt immer vom Blickwinkel des Menschen ab, von seiner Interpretation.

SPIEGEL ONLINE: Was hat es mit der Methode auf sich?

Kriese: Sie versucht, Kompressionsartefakte zu bestimmen. Das sind kleine Abweichungen, die beim Speichern eines Fotos im JPG-Format entstehen, Unterschiede zum Original. Man kann sie farbig darstellen. Der Betrachter muss dann entscheiden: Variieren diese Muster so stark, dass er von einer Manipulation ausgehen kann? Oder sind das normale Farbnuancen, die womöglich vom Motiv herrühren, von Wolken zum Beispiel?

SPIEGEL ONLINE: Halten Sie die russischen Satellitenbilder für manipuliert?

Kriese: Die Frage ist falsch. Wir haben es nicht mit Satellitenaufnahmen zu tun. Wir kennen nur die Version, die Moskau veröffentlicht hat. Das ist eine zu Präsentationszwecken aufbereitete Satellitenaufnahme.

SPIEGEL ONLINE: Bellingcat kommt zu dem Schluss, dass sie mit Photoshop bearbeitet wurde.

Kriese: Eine Fehlinterpretation. Sie sagen: Die Metadaten zeigen, dass die Bilder mit Photoshop bearbeitet wurden. Daraus folge, dass es wohl die Wolken waren, die eingefügt wurden, um etwas zu verschleiern. In Wahrheit beweist der Hinweis auf Photoshop in den Metadaten nichts. Mit irgendeinem Programm mussten die Russen das Satellitenbild ja für die Präsentation bearbeiten. Sie haben Rahmen und Textbausteine eingefügt, als Erklärungen für die Öffentlichkeit. Die identifizierten Artefakte können ihre Ursache darin haben - oder auch durch mehrfaches Abspeichern im JPG-Format entstanden sein.

SPIEGEL ONLINE: Bellingcat beruft sich auf das Analysewerkzeug FotoForensic.com, eine Webseite im Internet.

Kriese: Der Gründer Neal Krawetz hat sich auf Twitter von den Bellingcat-Schlussfolgerungen distanziert . Er sagt, es sei ein gutes Beispiel, "wie man eine Analyse nicht machen sollte". Bellingcat betreibt Kaffeesatzleserei. Die Error Level Analyse ist eine Hobby-Methode.

SPIEGEL ONLINE: Wie könnte man denn die Satellitenaufnahmen auf Manipulationen prüfen?

Kriese: Das ist sehr schwer. Im Idealfall bedarf es des Originaldokuments, der Satellitenaufnahme selbst oder sogar der Rohdaten. Die haben die Russen.

SPIEGEL ONLINE: Können Rohdaten nicht manipuliert werden?

Kriese: Das ist aufwendig. Effektiver sind andere Methoden. Es gibt eine ganze Disziplin, die sich damit beschäftigt, wie Bildmanipulationen verschleiert werden können. Sie nennt sich Antiforensik. Aufnahmen können nachgeschärft werden, oder mit Unschärfefiltern bearbeitet werden. In 90 Prozent solcher Fälle beißen ambitionierte Blogger wie Bellingcat auf Granit.

SPIEGEL ONLINE: Wie können Fälschungen überhaupt aufgedeckt werden?

Kriese: Die meisten entstehen unter Zeitdruck, das führt zu kleinen Fehlern. Niemand wäre aber so fahrlässig, ausgerechnet Photoshop zu nutzen und nicht die Metadaten zu säubern. Da gibt es ganz andere Varianten. Ich denke, die Nachrichtendienste kennen davon einige.

SPIEGEL ONLINE: In der Ukraine-Krise werden oft Satellitenbilder als Beleg angeführt, auch von der Nato. Sind die aussagekräftig?

Kriese: Es ist leicht, Laien gegenüber zu behaupten: Da sieht man dies oder jenes. Denken Sie nur mal an die US-Aufnahmen von angeblichen Giftgas-Anlagen in Nahost. Bei Bellingcat gibt es einen ähnlichen Punkt: Auf einem Foto soll ein wachsender Fleck zu sehen sein. Angeblich ist das eine Öl-Pfütze neben einem Auto. Ob man das für plausibel hält? Ich denke, das hängt allein davon ab, ob man es glauben will oder nicht.

SPIEGEL ONLINE: Was ist Ihr Fazit zu den Satellitenaufnahmen?

Kriese: Im Krieg stirbt die Wahrheit als erstes. Jede Seite wirft beliebig Nebelkerzen. Wir können nicht wissen, ob die Bilder zeigen, was Moskau behauptet. Diese "Analyse" aber hat nichts gebracht - die Steigerung der Bekanntheit von Bellingcat einmal ausgenommen.