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Zwischenfall an türkisch-syrischer Grenze Die Rache der Turkmenen

Was steckt hinter dem Abschuss der russischen Suchoi-24? Offenbar die Solidarität Ankaras mit den Turkmenen, einer ethnischen Minderheit in Syrien. Deren Kämpfer wollen die beiden Piloten des Jets erschossen haben.
Zwischenfall an türkisch-syrischer Grenze: Die Rache der Turkmenen

Zwischenfall an türkisch-syrischer Grenze: Die Rache der Turkmenen

Foto: REUTERS/Wochit

Das Verhältnis zwischen Russland und der Türkei ist schon eine Weile angespannt. Spätestens seit die russische Armee militärisch in den Syrienkonflikt eingegriffen hat, liefern sich die Führungen beider Länder verbale Scharmützel. Mal sprach der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan "freundliche Warnungen" in Richtung Russland aus. Wer in diesem Konflikt auch noch Benzin ins Feuer gieße, würde sich bald selbst im Feuer wiederfinden, so Erdogan wörtlich.

Putin konterte, es gebe keinen Anlass für Verschwörungstheorien. Russland hatte fast immer alle türkischen Vorwürfe zurückgewiesen: als russische Jets angeblich türkische Abfangjäger mit ihrem Zielradar erfasst und auch als Bomber aus Moskau türkischen Luftraum verletzt haben sollten.

Bislang blieb es bei verbaler Kraftmeierei. Mit dem Abschuss des Bombers vom Typ Su-24 durch die Türken erreicht die Auseinandersetzung jedoch eine neue Qualität. Die türkischen Streitkräfte teilten mit, an dem Vorfall seien zwei türkische Kampfjets vom Typ F-16 beteiligt gewesen. Die Piloten des eingedrungenen Flugzeugs seien zehnmal gewarnt worden, den türkischen Luftraum sofort zu verlassen. Es habe aber keine Reaktion gegeben, und die Maschine sei fünf Minuten lang über türkischem Territorium gewesen, bevor man sich entschieden habe, sie abzuschießen. Dabei habe man alle Einsatzregeln beachtet.

Im Video: Türkei schießt russischen Kampfjet ab

SPIEGEL ONLINE

Das Verteidigungsministerium in Moskau bestätigte zwar, es habe sich um eine russische Maschine vom Typ Su-24 gehandelt, bestritt aber laut Nachrichtenagentur Interfax, dass das Flugzeug türkischen Luftraum verletzt habe. "Das Flugzeug ist ausschließlich über syrisches Territorium geflogen", heißt es in der Stellungnahme.

Angeblich Luftangriffe auf turkmenische Dörfer

Die türkische Regierung ist nicht nur verärgert darüber, dass die russische Luftwaffe ihrer Ansicht nach seit Anfang Oktober mindestens dreimal unrechtmäßig in türkischen Luftraum eingedrungen ist, um Einsätze in Syrien zu fliegen, sondern auch über deren Angriffe auf von Turkmenen bewohnten Dörfern im Nordwesten Syriens. Erst am Donnerstag hatte das Außenministerium in Ankara den russischen Botschafter einberufen, um gegen die Luftangriffe auf die Orte nur wenige Kilometer jenseits der syrisch-türkischen Grenze zu protestieren, berichtet die Zeitung "Hürriyet".

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Syrisch-türkische Grenze: Der Absturz der Su-24

Foto: HANDOUT/ REUTERS

Die syrischen Turkmenen sind ein Turkvolk, etwa 200.000 von ihnen leben in Syrien, die meisten im Nordwesten des Landes. Viele Angehörige dieser ethnischen Minderheit - überwiegend sunnitische Muslime - sprechen kein Arabisch, sondern Türkisch. Turkmenen haben eigene Rebellengruppen in Syrien, manche kämpfen für die Nusra-Front, den syrischen Ableger von al-Qaida.

Was Ankara ganz grundsätzlich stört, ist der Umstand, dass die Russen Ortschaften so nahe der Grenze zur Türkei bombardieren. Das stelle eine "Gefahr für die Sicherheit der Türkei" dar, heißt es in der Regierung. "Wenn Russland wirklich daran interessiert ist, die Terrororganisation 'Islamischer Staat' zu bekämpfen, würde es keine Turkmenen angreifen", sagt ein Regierungsbeamter SPIEGEL ONLINE. "Russland führt nahe unserer Grenze Krieg gegen unschuldige Menschen." Angriffe auf Turkmenen werde man nicht länger tolerieren.

Feuer auf die Piloten?

Die Turkmenen haben sich nun offenbar auf ihre Weise gerächt. Zunächst berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in Großbritannien, ein russischer Hubschrauber sei nahe der Grenze zur Türkei von einer Panzerabwehrwaffe getroffen worden. Er war offenbar unterwegs zur Absturzstelle des russischen Kampfjets, um nach den Piloten zu suchen, die sich zuvor per Schleudersitz aus dem Jet katapultierten und am Fallschirm hängend gesehen wurden.

Später gab ein stellvertretender Kommandeur syrisch-turkmenischer Kämpfer bekannt, beide russischen Piloten seien erschossen worden. "Sie kamen tot vom Himmel. Unsere Kämpfer haben das Feuer auf sie eröffnet, als sie noch in der Luft waren. Dort starben sie auch."

Türkische Regierungskreise dementierten das. Die Piloten seien noch am Leben und befänden sich offenbar in der Gewalt syrischer Aufständischer, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. "Unsere Leute arbeiten daran, sie wohlbehalten von den Rebellen überstellt zu bekommen", wird ein türkischer Regierungsbeamter zitiert.

Der russische Generalstab geht nach "vorläufigen Informationen" vom Tod einer der Piloten aus: General Sergej Rudskoj sagte im russischen Fernsehen, der Pilot sei am Fallschirm abgesprungen und vom Boden aus beschossen und tödlich getroffen worden.

Den Konflikt wird das alles nur noch weiter anheizen. Die türkische Regierung sieht schon seit Langem kritisch, wie das militärische Eingreifen Russlands in Syrien den Flüchtlingsstrom verstärkt hat. Kein anderes Land nimmt so viele syrische Flüchtlinge auf wie die Türkei. Inzwischen sind es mehr als zwei Millionen, die in dem nördlichen Nachbarland Zuflucht suchen. "Die russischen Angriffe verschlimmern die Lage nur", sagt der Beamte.

Russland hingegen bestreitet, Zivilisten in Syrien anzugreifen. Es gebe auch keine Angriffe auf turkmenische Dörfer, zitieren türkische Zeitungen russische Diplomaten. Für Klarheit hätte ein Treffen der Außenminister beider Länder am Mittwoch in Istanbul sorgen können - wenn es denn stattfinden würde. Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat den geplanten Besuch abgesagt. Lawrow riet seinen Landsleuten zudem, die Türkei derzeit nicht zu besuchen.

Grundsätzlich pflegen die Türkei und Russland eigentlich freundschaftliche Beziehungen, sie wollen ihre wirtschaftlichen Beziehungen verstärken und vor allem im Energiesektor stärker zusammenarbeiten. In der Syrien-Politik liegen sie allerdings weit auseinander: Während Russland mit seinen Militäroperationen in Syrien Präsident Baschar al-Assad unterstützt, setzt die Türkei dagegen auf dessen Ende und wünscht sich eine sunnitische, protürkische Regierung in Damaskus - um die eigene Rolle als Regionalmacht zu stärken.

Der Abschuss vom Dienstag wird die beiden Staaten einander sicher nicht nähergebracht haben.

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