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Annäherung der Erzfeinde Warum die USA bald um Russland buhlen werden

In der Ukrainekrise haben sich Moskau und Washington überworfen, in Syrien nähern sie sich nun wieder an. Hier erklärt der USA-Experte Josef Braml, warum Amerika die Russen dringend braucht.
Barack Obama, Wladimir Putin (Archivbild)

Barack Obama, Wladimir Putin (Archivbild)

Foto: KEVIN LAMARQUE/ REUTERS
Zur Person

Dr. Josef Braml ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Programms USA/Transatlantische Beziehungen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin und Buchautor. Zuletzt erschien von ihm "Auf Kosten der Freiheit - Der Ausverkauf der amerikanischen Demokratie" .

SPIEGEL ONLINE: Barack Obama hatte seine Präsidentschaft mit einem "Neustart" in den Beziehungen zu Russland begonnen, heute ist das Verhältnis feindselig. Ist er gescheitert?

Braml: Obamas "Neustart" war aus der Not geboren: Die Amerikaner brauchten die Russen, weil sie die Truppen in Afghanistan aufstocken wollten. Moskaus Verbündeter Kirgisien hatte gedroht, die US-Luftwaffenbasis in Manas zu schließen, die wichtig war für den Nachschub in Afghanistan. Um die Schließung zu verhindern, mussten die Amerikaner mit den Russen reden. Eine Liebesheirat war das nicht.

SPIEGEL ONLINE: Wieso wurde daraus wieder offene Feindschaft?

Braml: Grund ist Russlands innere Schwäche. 2011 wollte Putin wieder Präsident werden, in Moskau gingen aber Zehntausende auf die Straße. Das hat ihn beunruhigt. Dann kam die Maidan-Revolution. Putin fürchtet, die Ukraine könnte wie Polen eines Tages der EU beitreten und sich zu einem weiteren Land entwickeln, dem es besser geht als Russland selbst. Es ging um das nackte Überleben des Regimes. Dank Krim-Annexion und patriotischer Welle ist Putin jetzt wieder beliebter denn je.

SPIEGEL ONLINE: Russische Medien berichteten 2011, Vizepräsident Biden habe Putin gedrängt, dem als liberaler geltenden Medwedew den Vortritt zu lassen.

Braml: Ich kann mir nicht vorstellen, dass Obama und Biden so naiv gewesen sein sollten. Die Fokussierung auf einzelne Persönlichkeiten führt in die Irre. Es geht nicht um Putin. Es wäre nicht damit getan, dass er weg wäre. In den USA ist das ähnlich: Dort hat Außenpolitik mehr Kontinuität, als manchen lieb ist. Die Interessen bleiben gleich.

SPIEGEL ONLINE: Bleibt also im Verhältnis zu Russland nach Obamas Abschied alles beim Alten?

Braml: Nein. Eine Annäherung zeichnet sich bereits jetzt ab. In Syrien sind gewisse Verständigungen nicht zu übersehen: Die Russen halten nicht mehr ganz so eisern an Assad fest, für die Amerikaner wiederum ist sein Abschied keine Vorbedingung mehr. Beide Seiten wollen gegen das noch größere Übel kämpfen, den "Islamischen Staat".

SPIEGEL ONLINE: Wie sieht Washingtons langfristige Russland-Strategie aus?

Braml: Die Amerikaner haben gemerkt, dass sie Moskau mit den Sanktionen in Pekings Arme getrieben haben. China ist aus US-Sicht eine immer größer werdende Gefahr. Amerika hat ein Interesse daran, Russland gegen China in Stellung zu bringen.

SPIEGEL ONLINE: Wieso das?

Braml: Die Amerikaner können die für China lebenswichtige Rohstoffzufuhr abdrücken, in der Straße von Hormus, in der Straße von Malakka durch Singapur, das mit den USA verbündet ist, in der Lombok- und Sundastraße über die Nordküste Australiens, mit dem man die Sicherheitsbeziehungen ausgebaut hat. Der ehemalige Schurkenstaat Myanmar wird im Eiltempo "demokratisiert", um bei Bedarf Chinas Pipeline-Verbindung zu unterbinden. China bleibt noch der Landweg aus Russland. In Washington hat man inzwischen begriffen, dass Sanktionen auch den US-Interessen schaden. Das wird korrigiert, wer auch immer als nächstes ins Weiße Haus einzieht.

SPIEGEL ONLINE: Wieso sollten sich die Russen auf einen "Neustart 2.0" einlassen?

Braml: Russland hat selbst Ängste, von den Chinesen überholt zu werden. Bei Gesprächen neulich in Moskau habe ich auch festgestellt, dass sich dort große Ernüchterung breitmacht: Die Hoffnungen auf großzügige Unterstützung aus China haben sich nicht erfüllt.

SPIEGEL ONLINE: Warum eigentlich nicht?

Braml: China intensiviert seine Beziehungen zu Iran. Peking will Teheran als wichtigen Lieferanten, um gegenüber Saudi-Arabien in einer besseren Position zu sein. Die Chinesen investieren dort gerade auch in neue Pipelines. Sie drücken damit den Preis, den Russland verlangen kann.

SPIEGEL ONLINE: Zurück zu den Amerikanern: Erwarten Sie eine schnelle Aufhebung der Sanktionen?

Braml: Nein, Washington muss ja auch sein Gesicht wahren. Tendenziell werden die Sanktionen aber zurückgefahren. Und der Westen schafft Anreize, etwa die kürzlich von Merkel erwähnte Idee eines gemeinsamen Handelsraums von Vancouver bis Wladiwostok. Spannend wird sein, ob die Russen darauf eingehen. Sind sie bereit, sich im internationalen Wettbewerb zu behaupten? In Moskau leben ja auch einige Leute gut von Sanktionen und Konfrontation, die Sicherheitseliten zum Beispiel.

SPIEGEL ONLINE: Wieso sollte Putin seinen Kurs ändern?

Braml: Er und andere verstehen, dass Isolationismus Russland in die Sackgasse führt. Das wurde schon der Sowjetunion zum Verhängnis. Russland läuft Gefahr, zum handelspolitischen Außenseiter zu werden. China wirbt um Kasachstan und andere Länder, die Russland in seine Eurasische Wirtschaftsunion einbinden will. Weil aber die Öleinnahmen sinken, gerät Moskau ins Hintertreffen gegenüber Chinas Scheckbuchdiplomatie.

SPIEGEL ONLINE: Wieso beunruhigt China die Amerikaner so stark?

Braml: China legt seine Währungsreserven nicht mehr in US-Staatsanleihen an. Peking hat aufgehört, die US-Wirtschaft auf Pump zu finanzieren und benutzt das Geld für eigene Projekte. Die Idee einer "neuen Seidenstraße"  ist ein Beispiel, die Asiatische Investmentbank für Infrastruktur ein anderes. Bei der machen sogar Briten, Franzosen und Deutsche mit, trotz massiven Drucks der Amerikaner. China definiert seine Interessen breiter, beteiligt andere und könnte das geopolitisch wichtige Kerngebiet Eurasien in seinem Sinne ordnen. Das widerspricht dem globalen Ordnungsanspruch der angeschlagenen Supermacht USA.

SPIEGEL ONLINE: Moskau beschwört das Feindbild USA, bei den Russen kommt das gut an, Putins Beliebtheit ist hoch. Wieso sollte Moskau in Zukunft auf diese Mobilisierungsreserve verzichten?

Braml: Ich vertraue darauf, dass der Kreml über den Tag hinaus denkt. Wirtschaftsnationalismus und Abschottung treiben kurzfristig die Beliebtheitswerte des Präsidenten hoch, gefährden langfristig aber das Fundament seiner Herrschaft. Daran sollte im Übrigen auch im Westen niemand Interesse haben.