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Forderung nach neuen Sanktionen Merkels Russland-Dilemma

Neue Sanktionen gegen Russland wegen des Syrienkriegs? Kanzlerin und Außenminister dürften daran kein Interesse haben. Schon die Sanktionen wegen der Ukrainekrise sind in Union und SPD umstritten.
Das von Rebellen gehaltene Sheikh-Fares-Viertel im syrischen Aleppo

Das von Rebellen gehaltene Sheikh-Fares-Viertel im syrischen Aleppo

Foto: ABDALRHMAN ISMAIL/ REUTERS

Die Bilder der Luftangriffe auf Aleppo sind verstörend: Ein Ruinenmeer, in dem Verletzte und Tote liegen, durch die Straßen tragen Väter und Mütter ihre toten Kinder. "Ich kann es kaum ertragen. Ich kann gar nicht so viel beten, wie ich müsste", erzählt die Grünen-Fraktionschefin im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt.

Die Protestantin hat ihr Erschrecken mit einer Forderung verbunden. "Die Bundesregierung sollte dringend ein Verfahren zur Verhängung neuer Sanktionen gegen Russland für sein barbarisches Vorgehen in Syrien einleiten", sagte sie der "Bild am Sonntag".

EU-Sanktionen gegen Moskau wegen der Besetzung der Krim durch Russland und wegen des Krieges in der Ostukraine bestehen seit Sommer 2014. Sie wurden zuletzt bis Ende Januar 2017 verlängert. Doch nun wegen Syrien weitere Maßnahmen draufsatteln?

Die prominente Grüne ist nicht die einzige, die eine härtere Gangart will. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen (CDU), hatte bereits vor ihr neue Strafmaßnahmen verlangt. "Wirtschaftliche Sanktionen zu verhängen, würde zwar nicht kurzfristig wirken, aber längerfristig sicher in die Folgenkalkulation Wladimir Putins mit eingehen", glaubt der Christdemokrat.

Es sind Forderungen, die sich an die Adresse der Kanzlerin richten, vor allem aber an die des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier. Der SPD-Politiker versucht unverdrossen, die russische Seite von der Notwendigkeit wenigstens einer zeitlich befristeten Waffenpause in Syrien zu überzeugen. Erst Ende vergangener Woche telefonierte er wieder mit seinem Amtskollegen Sergej Lawrow.

Für Steinmeier ist die zunehmende Verhärtung in den russisch-amerikanischen Beziehungen ein Dilemma. Seit der Herbsttagung der Uno in New York und dem dortigen Scheitern der Syriengespräche sucht er neue "Anknüpfungspunkte", wie es unter seinen Diplomaten heißt, für Gespräche zwischen Moskau und Washington. Nichts deutet daraufhin, dass Steinmeier seinen Kurs ändern dürfte.

"Steinmeier ist in einer schwierigen Lage. Er plädiert für einen langen Atem, was manche in der Union und bei den Grünen selbstgerecht als Ausrede für Nichthandeln interpretieren. Dennoch bleibt sein Ansatz auch moralisch richtig, denn nur eine politische Verständigung kann den Menschen in Syrien helfen", sagt der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Niels Annen, zu SPIEGEL ONLINE.

Was aber komme nach den Sanktionen, was sei der nächste Schritt, fragt sich Annen: "Jetzt in einen Überbietungswettbewerb an möglichen Strafmaßnahmen einzusteigen, wird den Menschen in Syrien kaum helfen."

Simone Peter widerspricht Göring-Eckardt

Steinmeier dürfte es ähnlich sehen. Rhetorische Kraftmeierei war und ist dem Außenminister, der sich in der außenpolitischen Tradition Willy Brandts sieht, suspekt. Wiederholt zitiert er den Satz des verstorbenen Brandt-Beraters Egon Bahr, als Credo seiner eigenen Politik: "Amerika ist unverzichtbar. Russland ist unverrückbar."

Erst im Sommer versuchte Steinmeier, in die Gespräche des Minsker Friedensabkommens zwischen der Ukraine und Russland Bewegung hineinzubringen. "Schrittweiser Abbau" der EU-Sanktionen "bei sichtbaren Fortschritten" sei möglich, lautete seine Formel.

Auch Merkel scheint nicht an neue Sanktionen zu denken. Zuletzt hatte sie im Landtagswahlkampf von Mecklenburg-Vorpommern jene Linie vertreten, die Steinmeier zuvor formuliert hatte. "In dem Moment, wo wir Fortschritte bei Minsk haben, werden wir die Sanktionen lockern", so Merkel auf einer CDU-Veranstaltung in Schwerin.

Regierungssprecher Steffen Seibert, ein Vertrauter der Kanzlerin, beantwortete jüngst die Frage nach Sanktionen zunächst mit Ausführungen über das Leid der Zivilbevölkerung in Syrien, um mit der Formel zu enden, man habe "Verständnis dafür, dass über alle Optionen nachgedacht wird". Nach einem kräftigen Plädoyer für Sanktionen klingt das nicht.

Bereits die bestehenden Maßnahmen sind umstritten, vor allem in den östlichen Bundesländern. Sie leiden an den Exporteinbußen: Sachsens CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich will sie so schnell wie möglich beenden, Mecklenburg-Vorpommerns SPD-Ministerpräsident Erwin Sellering forderte in der "Welt am Sonntag", die wechselseitigen Sanktionen "schnellstmöglich" abzubauen, wenn "sich beide Seiten aufeinander zubewegen".

Zwar hat Sellerings Position derzeit in der SPD keine Chance auf Verwirklichung, wie zu hören ist. Doch der Bundestagswahlkampf steht im kommenden Jahr vor der Tür, im Osten sind die Russland-Sanktionen in der Bevölkerung unbeliebt, die dort erstarkte rechtspopulistische AfD fährt seit Monaten einen schroffen Anti-Sanktionskurs.

Neue Sanktionen wegen Syrien gegen Russland, das ist selbst bei den Grünen ein strittiges Thema. Am Sonntag meldete sich deren Ko-Parteivorsitzende Simone Peter per Twitter und widersprach der Grünen-Fraktionsvorsitzenden Göring-Eckardt. "Harte Kritik" gegenüber Russland sei notwendig, schrieb die Vertreterin des linken Parteiflügels, "aber keine neuen Sanktionen".

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