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Henriette Hell: Was ich über Sex gelernt habe Liebesgrüße nach GAYropa: Was ich in Russland über Sex gelernt habe

Henriette Hell hat Urlaub in St. Petersburg gemacht und war erstaunt über die Einstellung vieler junger Russen zu den Themen Liebe, Sex, Ehe und Homosexualität. 

Vergangene Woche hatte ich das Vergnügen, einige Tage in St. Petersburg verbringen zu dürfen. Eine russische Freundin feierte ihren 30. Geburtstag. Ich war vorher noch nie in Crazy Russia und sofort begeistert von den prächtigen Synagogen, den aufregenden Bars und vor allem von den offenen, lebenslustigen Menschen, die ich auf der Party kennenlernte. Überrascht stellte ich fest, dass die meisten Frauen so um die 25 bereits geschieden waren und mindestens ein Kind im Vorschulalter hatten.

"Die Frauen heiraten hier früh, um sich finanziell abzusichern. Das ist normal", erklärte mir meine Freundin Dasha. Genauso früh würden viele aber angeblich auch feststellen, dass ihr Mann sie betrüge – und sich dann wieder trennen. Kinder bekämen die meisten schon mit Anfang 20 – ziemlich früh für meinen Geschmack. In meinem Umfeld denken ja viele (Karriere-)Frauen erst mit 40 über Nachwuchs nach. Darüber lachte sich Dasha allerdings halb kaputt. "Ihr Deutschen spinnt echt. Mit 40! So ein Quatsch. In Russland bekommt keine Frau freiwillig in den Dreißigern noch ein Kind", behauptete sie. "Das gilt hier schon als Risikoschwangerschaft. Außerdem haben die meisten Frauen Angst, dass sich ihr Arsch, Bauch und Titten nicht mehr anständig zusammenziehen, wenn sie schon so alt sind. Kinder bekommt man hier so schnell wie möglich, dann hat man es hinter sich. Das raten einem sogar die russischen Gynäkologen!"

© Eiko Weishaupt

Henriette Hell: Love from Hell

Henriette Hell wurde 1985 geboren und arbeitet als Journalistin/Autorin in Hamburg und unterwegs auf ihren Reisen rund um den Globus. Ihr Buch "Achtung, ich komme! In 80 Orgasmen um die Welt" ist 2015 erschienen und wurde prompt zum Bestseller. 2017 folgte "Erst kommen, dann gehen – Die Sexbibel fürs 21. Jahrhundert". Henriette schreibt gerne, ehrlich und lässig über Sex, weil sie findet, dass das viel zu wenig Leute tun.

Den richtigen Zeitpunkt für ein Baby gibt es – nie?

Das fand ich ziemlich interessant. Denn so, wie wir es in Deutschland halten – ewig darauf warten bis endlich alle äußeren Umstände, also Einkommen, Wohnung, Partner, (scheinbar) perfekt passen, ist ja auch nicht sonderlich klug. Weil es wahrscheinlich nie so weit sein wird. Und – schwupps – ist man 40, hat zwar genügend Geld und eine perfekte Wohnung, aber wird blöderweise nicht (mehr) schwanger. Oder muss sich dann eben mit Mitte/Ende 50 mit einem Pubertierenden herumschlagen. "Wenn du Bock auf Kinder hast, dann bekomm am besten so schnell wie möglich welche", legte mir Dasha ans Herz.

Mittlerweile war die Stimmung auf der Party ziemlich ausgelassen, der Wodka floss in Strömen und plötzlich schien sich niemand mehr darum zu kümmern, ob er nun verheiratet, geschieden oder Single war – jeder kuschelte plötzlich mit jedem! "Wie gesagt – Affären sind hier normal", flüsterte Dasha. "Ich kenne Russen, die fünf oder sechs Freundinnen gleichzeitig haben. Der da zum Beispiel …"

Oh Gott, ein schwuler Designer!

Mittlerweile saß ich mit vier Männern und drei Frauen an einem Tisch, alle sehr gut gekleidet. Ich erwähnte, dass ich den russischen Designer Gosha Rubchinsky bewundere. Da fiel eins der Mädchen fast vom Barhocker: "Aber der ist doch SCHWUL! Igitt, von dem würde ich nie etwas tragen. Der ist doch krank." Ich war selbstredend entsetzt (weil sie zuvor so aufgeschlossen und open minded gewirkt hatte) und wusste nicht, ob ich zur Grundsatzdiskussion ausholen oder lieber schweigen soll, weil es vermutlich sowieso hoffnungslos war.

Das wurde mir spätestens klar, als einer der Jungs kurz darauf ein knutschenden schwules Pärchen am Nebentisch entdeckt und ausrastete: "Das ist ja widerlich! Die sollte man zusammenschlagen oder einfach wegsperren. Ich geh' da gleich hin und sag' denen, sie sollen sich verpissen." Da wurde ich echt sauer. "Wie bist du denn drauf?", frage ich ihn wütend. Aber er blickte mir nur verächtlich an. "Ach, ihr GAYropäer habt echt einen an der Klatsche. Ihr mit euren Schwulenparaden und Schwulenhochzeiten ... Das ist so peinlich! Merkt ihr gar nicht, wie ihr euch damit zum Affen macht?!"

Aber zum Ausgehen sind Schwulenbars super ...

Okay, die Russen, die ich getroffen hatte, nannten Europa also gerne mal GAYropa. Wusste ich auch noch nicht. Schuld ist möglicherweise die Regierung, denn offen gezeigte Homosexualität ist in Russland als "Propaganda" gesetzlich verboten. "Natürlich läuft hier keiner rum, der Strafzettel an Schwule verteilt ", sagte Dasha später zu mir. "Trotzdem bekommst du leicht Probleme, wenn du hier öffentlich zu deiner Sexualität stehst."

Ob wirklich alle Russen so drauf sind? Keine Ahnung! Aber ob ihr es glaubt oder nicht – später sind wir dann alle trotzdem noch in einem Schwulenklub gelandet. Von denen gibt es in St. Petersburg nämlich reichlich. "Man hat seine Ruhe und die Musik ist einfach besser", sagt Dasha. Manche Dinge sind eben überall auf der Welt gleich.  

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