Papier, so argwöhnt der Volksmund, ist geduldig. In Berlin gilt dasselbe auch für Granit, jedenfalls am Denkmal des sowjetischen Sieges über Hitler-Deutschland an der Straße des 17. Juni, wo zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule – alias Goldelse – mit Geschichtslektionen nicht gespart wird.
Monumental der bronzene Sowjetsoldat, flankiert von zwei T 34 Kampfpanzern und langgestreckten Kanonen. Zu seinen Füßen zwei bedeutungsvolle Zahlen: „1941 – 1945“.
Am Montag dieser Woche feierte Russland mit dem Vorbeimarsch von 10.000 Soldaten und viel gepanzerter Hardware, neuen Raketen und nuklearen Gefechtsköpfen den Sieg im Zweiten Weltkrieg. Was sich am Ehrenmal der Roten Armee an der Straße des 17. Juni abspielte, war vergleichsweise bescheiden: ein paar Fahnen, Blumen und Kränze, einige Veteranen und russische Familien.
Es gab, so friedlich ging alles ab, nicht einmal eine diskrete Polizeiabsperrung, stattdessen aber auf dem Mittelstreifen geparkt viele SUVs jener schweren Nobelmarken, die russische Oligarchen schätzen.
Der Pakt der Großtyrannen hielt nicht lange
1945? Die Jahreszahl bezeichnet das Ende des Zweiten Weltkriegs. Aber 1941? War davor nichts? Der Winterkrieg 1939, mit dem die Sowjetunion das benachbarte Finnland sich einverleiben und die Trennung 1917 rückgängig machen wollte, ist aus der Erinnerung gelöscht. Zusammen mit der Annexion großer Teile des kleinen Nachbarlandes.
Hätten die Finnen nicht heroisch standgehalten, wäre von Finnland nichts mehr übrig geblieben. Noch ernster der Hitler-Stalin Pakt vom 23. August 1939, der hinter der Fassade eines Nichtangriffspakts die europäische Ordnung zerstörte. Die beiden Großtyrannen gaben einander Rückversicherung für die nächsten Kriege und versprachen einander, die Beute zu teilen.
Die Republik Polen sollte geteilt, die drei baltischen Staaten der Sowjetunion zum Frass vorgeworfen werden. Keine vierzehn Tage nach der unheiligen Allianz begann der Zweite Weltkrieg.
Kein Wunder, dass Stalin, als er das Denkmal in Berlins Mitte zu bauen befahl, die fatalen zwei Jahre des gemeinsamen Verbrechens im Nichts verschwinden ließ. Die Bundesrepublik ist nach den Verträgen von 1990 gehalten, solche Hinterlassenschaften in Ordnung zu halten. Aber wenigstens sollte man sich erinnern, welche Gespenster seitab des Reichstags hausen.