Die Welt: Slowenien hat seine Grenzen geschlossen für alle Flüchtlinge – außer, sie wollen Asyl in Slowenien beantragen. Warum dieser Alleingang ausgerechnet jetzt?
Miro Cerar: Da muss ich Sie korrigieren: Slowenien hat keinen Alleingang unternommen, wir setzen lediglich die Entscheidungen des Europäischen Rats um. Wir schützen den Schengenraum, indem wir Dritten den Zugang verweigern, die nicht die Einreisekriterien erfüllen und kein Asyl an einem anderen Ort beantragt haben, obwohl sie die Gelegenheit dazu gehabt hätten.
Außerdem haben die 28 EU-Regierungschefs am 7. März beschlossen, dass alle illegalen Flüchtlingsströme entlang der Balkanroute nun ein Ende haben. Wir hätten unsere Grenze schon Mitte Februar komplett dichtmachen können, aber einige unserer EU-Partner haben uns darum gebeten, damit bis zum letzten EU-Gipfel zu warten.
Die Welt: Seit Mazedonien seine Grenze viel strenger kontrolliert, kommen doch ohnehin viel weniger Flüchtlinge in Slowenien an. War diese Grenzschließung am Dienstag also nicht reine Symbolpolitik?
Cerar: Mazedonien koordiniert seine Maßnahmen mit den anderen Ländern entlang der Balkanroute – ich spreche von Österreich, Slowenien, Kroatien und Serbien. Diese Abstimmung war entscheidend dafür, um eine schwere humanitäre Krise auf dem Westbalkan und gewaltsame Konflikte in der Region abzuwenden.
Die Welt: Deutschland und die EU-Kommission arbeiten nach wie vor an einer Lösung mit der Türkei, die nächste Woche in Brüssel beschlossen werden soll. Glauben Sie nicht mehr daran?
Cerar: Wir hoffen natürlich, dass die Verhandlungen mit der Türkei das gewünschte Ergebnis bringen: eine wesentliche, nachhaltige Reduzierung der illegalen Einwanderung über die griechischen Inseln nach Europa. Bislang hat sich diese Hoffnung aber nicht erfüllt. Als ein Mitglied des Schengenraums hat Slowenien unterdessen die Pflicht, die EU-Regeln anzuwenden. Die Verhandlungen der EU mit Ankara ändern daran nichts.
Die Welt: Berlin hat Österreich und Slowenien heftig dafür kritisiert, dass sie ihre eigenen Ziele verfolgen. Ist diese Kritik gerechtfertigt?
Cerar: Wir weisen diese Art der Kritik aus Berlin entschieden zurück. Wir stellen außerdem eine seltsame Diskrepanz fest, zwischen dem, was die Bundesregierung öffentlich sagt, und dem, was an den deutschen Grenzen de facto geschieht. Einerseits sagt Berlin, die deutschen Grenzen blieben weiter offen für Flüchtlinge. Andererseits gibt es seit geraumer Zeit tägliche oder zeitliche Beschränkungen bei der Einreise an deutschen Grenzen. Außerdem hat Deutschland seit Kurzem die Abschiebungen nach Österreich erhöht, was wiederum mehr Abschiebungen von Österreich nach Slowenien bedeutet.
Die Welt: Sie haben Athen persönlich dafür kritisiert, seine Verpflichtungen in der Krise nicht zu erfüllen und stattdessen Flüchtlinge einfach durchzuwinken. Die Entscheidung der Balkan-Staaten, ihre Grenzen dichtzumachen, hat den Druck auf Griechenland immens erhöht. Wer nicht hören will, muss also fühlen?
Cerar: Griechenland ist vor allem ein Opfer seiner geografischen Lage. Aber es kann nicht sein, dass man seine Probleme einfach an andere delegiert, indem man systematisch Flüchtlinge nach Norden transportiert. Griechenland hat als Mitglied des Schengenraums Verpflichtungen, die es erfüllen muss. Wir waren und wir sind jederzeit bereit dazu, Athen zu helfen.
Slowenien hat schon in der Euro-Krise seine Solidarität mit Griechenland bewiesen, als wir Hunderte Millionen Euro unserer Steuerzahler investiert haben, um die Rückzahlung der Kredite zu erleichtern. Und das, obwohl der Lebensstandard in Slowenien unter jenem in Griechenland liegt! Wir werden Griechenland auch weiter helfen, indem wir schnell Flüchtlinge aus dem Umverteilungsprogramm aufnehmen.
Die Welt: Was erwarten Sie dafür jetzt von Griechenland?
Cerar: Wir erwarten, dass Griechenland die angebotene Hilfe der Europäer annimmt und die Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen beschleunigt. Bewilligt worden sind finanzielle Hilfen, um die Flüchtlinge mit einem Dach über dem Kopf und Nahrung zu versorgen. Es soll außerdem technische Unterstützung beim Erfassen und Registrieren der Flüchtlinge geben sowie polizeiliche Unterstützung bei der Kontrolle der Seegrenze in der Ägäis sowie der Landgrenze mit Mazedonien.
Wir haben außerdem politische und logistische Hilfe bei der Rücksendung der Flüchtlinge an die Türkei angeboten. Aber Griechenland muss diese Hilfsangebote auch annehmen, und die griechischen Behörden müssen kooperieren.
Die Welt: Halten Sie es denn für eine gute Idee, mit den Türken zusammenzuarbeiten?
Cerar: Die Türkei hätte in der Vergangenheit mehr unternehmen müssen, um die illegale Ausreise von Flüchtlingen zu unterbinden. Wir hatten uns bereits im vergangenen November auf solch einen Plan geeinigt, aber seither haben wir da nicht viele Fortschritte beobachten können.
Die Welt: Wie wahrscheinlich ist es denn, dass sich die 28 EU-Staaten auf eine gemeinsame Lösung verständigen?
Cerar: Uns bleibt gar nichts anderes übrig, als eine gemeinsame EU-Lösung zu erarbeiten. Das wird uns auch gelingen, die Frage ist nur, wann. Hoffentlich passiert das eher früher als später.
Die Welt: Was erwarten Sie nun von großen EU-Mitgliedsländern wie Deutschland?
Cerar: Die Bundesregierung sollte eine Sache unmissverständlich klarstellen: Der Weg nach Europa für illegale Flüchtlinge ist geschlossen, und es wird auch nicht helfen, sein Geld und Leben Schmugglern anzuvertrauen. Davon unabhängig wird es weiterhin legale Möglichkeiten geben, nach Europa zu kommen. Aber der Fokus von Deutschland und den anderen großen EU-Staaten sollte auf der effektiven Kontrolle der Außengrenzen liegen.
Die Welt: Worin besteht Ihre größte Sorge, was den Fortgang dieser Krise anbelangt?
Cerar: Was ich am meisten fürchte, ist, dass kriminelle Schlepper weiter das Elend verzweifelter Menschen ausnutzen und nach Wegen suchen, diese nach Europa zu bringen. Wir dürfen das nicht zulassen und müssten dafür sorgen, dass wir den Schleusern das Handwerk legen.
Die Welt: Welche Fehler sollte die EU in Zukunft vermeiden?
Cerar: Die EU hat zu langsam und zu zögerlich auf die Flüchtlingskrise reagiert. Der größte Fehler lag aber in der Kommunikation: Es ist zu lange der Eindruck erweckt worden, es könnten alle nach Europa kommen – egal, aus welchen Gründen sie ihre Heimat verlassen haben. Wir wissen alle, dass das nicht möglich ist, weil wir nicht alle bei uns aufnehmen können. Besser ist es, den Menschen vor Ort in ihrer Heimat zu helfen.
Die Welt: Wird die Europäische Union diese Krise überstehen?
Cerar: Die EU ist unverzichtbar für unseren Kontinent. Wir haben in der Vergangenheit schon viele Krisen überstanden, warum nicht auch diese? Meine Hoffnung ist, dass wir gestärkt aus dieser Erfahrung hervorgehen.