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Deutschland Frank-Walter Steinmeier

„Wir sollten uns nicht aufmuskeln“

Bundesaußenminster Frank-Walter Steinmeier im Gespräch mit der „Welt am Sonntag“ im Gästehaus des Auswärtigen Amtes der Villa Borsig in Berlin Bundesaußenminster Frank-Walter Steinmeier im Gespräch mit der „Welt am Sonntag“ im Gästehaus des Auswärtigen Amtes der Villa Borsig in Berlin
Bundesaußenminster Frank-Walter Steinmeier im Gespräch mit der „Welt am Sonntag“ im Gästehaus des Auswärtigen Amtes der Villa Borsig in Berlin
Quelle: Dominik Butzmann
Frank-Walter Steinmeier mahnt, Deutschland dürfe seine Möglichkeiten bei der Lösung internationaler Krisen nicht überschätzen. Der Außenminister über Griechen-Krise, Iran und Russland-Politik.

In die Borsig-Villa, das Gästehaus des Auswärtigen Amtes, hat sich Frank-Walter Steinmeier am Donnerstag zurückgezogen. Hier, im Norden Berlins, am Tegeler See und inmitten eines malerischen Parkes, lässt sich gut arbeiten. Auf der Terrasse empfängt der Außenminister zum Interview, kurz darauf begrüßt er hier den ehemaligen türkischen Präsidenten Abdullah Gül. Später trifft Steinmeier noch einen wichtigen syrischen Exilpolitiker und isst mit seinem britischen Amtskollegen Philip Hammond und dessen Ehefrau zu Abend.

Welt am Sonntag: Herr Minister Steinmeier, ist Griechenland eigentlich ein „failed state“?

Frank-Walter Steinmeier: Griechenland ist ein gleichberechtigtes Mitglied der Europäischen Union. Niemand unterschätzt die Opfer, die das griechische Volk in den letzten Jahren gebracht hat, um sein Land zu reformieren und wieder auf die eigenen Füße zu stellen. Wahr ist aber auch, dass die politischen Eliten in Griechenland ihrer Verantwortung für das Land zu lange nicht gerecht wurden. Bis heute wird in Griechenland suggeriert, dass man ohne nachhaltige Reformen das Blatt wenden könne.

Wir können nicht die Arbeit für die griechische Regierung machen. Sie ist es, die Verantwortung für das Schicksal ihres Volkes übernehmen und nicht weiter Illusionen nähren darf
Frank-Walter Steinmeier

Welt am Sonntag: Was sagen Sie zum Vorwurf Griechenlands, die EU sei unsolidarisch?

Steinmeier: Die EU als Ganzes und die Staaten der Euro-Zone insbesondere haben über viele Jahre der Krise hinweg mit hohen Krediten, Beratung, Hilfe vor Ort und vielem mehr Griechenland solidarisch zur Seite gestanden. Die Vorwürfe mangelnder Solidarität sind daher völlig unangemessen. Der Zickzackkurs der griechischen Regierung in den letzten Stunden und Tagen macht einen doch fassungslos.

Die Euro-Gruppe und die Institutionen haben mit viel gutem Willen, mit viel Mühen und Engagement einen Kompromiss gefunden, der sicherstellen könnte, dass Griechenland wieder nach vorne blicken kann. Ich verstehe nicht, wie eine gewählte griechische Regierung seinem Volk empfiehlt, den europäischen Vorschlag abzulehnen, und die Menschen in Griechenland damit in Geiselhaft nimmt, um Europa weitere Konzessionen abzutrotzen. Wir können nicht die Arbeit für die griechische Regierung machen. Sie ist es, die Verantwortung für das Schicksal ihres Volkes übernehmen und nicht weiter Illusionen nähren darf.

Welt am Sonntag: Halten Sie es für möglich, dass sich Athen von der Nato abwendet?

Steinmeier: Es gibt Syriza-Politiker, die fordern, den Euro zu verlassen. Andere verlangen einen Nato-Austritt. Verantwortungsvolle Führung bedeutet, solchen Stimmen in der eigenen Partei und dem Parlament die Stirn zu bieten und mutig eine Politik der Vernunft zu vertreten. Diesen Kampf können wir in Brüssel, Paris, Rom, Madrid, Berlin oder anderswo der griechischen Regierung nicht abnehmen. Aber wir können weiter helfen – wenn Griechenland sich helfen lässt.

Welt am Sonntag: Wenn Krisen gelöst werden sollen, sitzt Berlin heute meist mit am Verhandlungstisch. Das war vor 20 Jahren noch anders. Ist Deutschland politisch ein Global Player?

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Steinmeier: Wir sollten unsere Möglichkeiten nicht überschätzen und uns nicht aufmuskeln. Die internationale Gemeinschaft schenkt uns Vertrauen und hat die Erwartung, dass wir uns diplomatisch und politisch auch in schwierigen Konflikten einsetzen. Diese Verantwortung sollten wir nicht scheuen.

Welt am Sonntag: Was kann deutsche Außenpolitik erreichen – und was nicht?

Steinmeier: Wir sind keine Supermacht, weder historisch und militärisch noch Kraft unserer Größe. Aber wir sind ein weltoffenes Land, und wir wissen: Es kann uns nicht egal sein, wenn sich da draußen die Krisen überschlagen. Und deshalb engagieren wir uns da, wo wir einen Unterschied machen können, boxen aber nicht oberhalb unserer Gewichtsklasse.

Welt am Sonntag: Schon lange verhandelt eine internationale Kontaktgruppe mit Teheran über das Atomprogramm. Sie reisen an diesem Wochenende dazu nach Wien. Bis zum 30. Juni sollen die Verhandlungen abgeschlossen sein. Ist der Termin zu halten?

Steinmeier: Wir verhandeln seit Wochen unter Hochdruck. Es besteht jetzt die Chance, diesen schon seit über zehn Jahren andauernden Konflikt endlich zu lösen. Die letzten Gespräche mit meinen Amtskollegen Kerry und Sarif zeigen: Niemand will die Verhandlungen verlängern. Jetzt gilt’s. Unser Ziel ist, Ende Juni zum Abschluss zu kommen. Es kann aber sein, dass der 30. Juni mehr als 24 Stunden haben wird.

Steinmeier bittet Israel um Geduld mit dem Iran

Optimismus: Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat die Einigung im Atomstreit mit dem Iran positiv bewertet. Im Hinblick auf die von Israel formulierten Bedenken bittet Steinmeier um Zeit.

Quelle: Reuters

Welt am Sonntag: Ist ein Scheitern noch möglich? Oder wäre das ein Gesichtsverlust für alle Akteure?

Steinmeier: Wir dürfen niemals aus Angst vor Gesichtsverlust zögern, das Mögliche zu versuchen, aber auch nicht aus Angst vor Gesichtsverlust unverantwortliche Vereinbarungen unterschreiben. Ich bin überzeugt: Sollte es zu keiner Einigung kommen, verlieren alle. Der Iran verbliebe in der Isolation. Ein neues Wettrüsten in einer ohnehin von Krisen gebeutelten Region könnte die dramatische Folge sein. Die Nachbarn des Iran litten, weil der Ehrgeiz Teherans, nach der Atomwaffe zu greifen, zunähme. Der internationalen Gemeinschaft wäre es misslungen, auf dem Verhandlungsweg einen Konflikt politisch zu beenden.

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Welt am Sonntag: Ein Streitpunkt mit Teheran ist die internationale Kontrolle von Militäranlagen. Revolutionsführer Chamenei schließt aus, dass die Internationale Atomenergiebehörde Zugang bekommt. Sind die Verhandlungen damit gescheitert?

Steinmeier: Das ist ohne Zweifel einer der ganz wichtigen Punkte. Wenn da Klarheit ausbleibt, kann es keinen Abschluss geben. Bisher aber hat der Iran die Eckpunkte von Lausanne nicht infrage gestellt. Jeder dieser Eckpunkte ist konstitutiv für eine abschließende Vereinbarung. In Lausanne ging der Iran den Weg mit, mangelndes Vertrauen durch Kontrolle und Transparenz auszugleichen. Das Ob und das Wo der Kontrolle kann nicht infrage stehen, allenfalls das Wie.

Welt am Sonntag: Der Umfang des iranischen Atomprogramms soll auf etwa zehn Jahre beschränkt werden. Kommt die iranische Bombe dann zehn Jahre später?

Steinmeier: Vor zwei Jahren rechneten die arabischen Nachbarn des Iran und Israel damit, der Iran stehe wenige Monate vor der Einsetzbarkeit einer Nuklearwaffe. Es war die Vereinbarung von Genf vom November 2013, die diese Entwicklung gestoppt hat. Der Iran ist seinen Verpflichtungen aus dieser Vereinbarung nachgekommen.

Wenn die Eckpunkte von Lausanne umgesetzt werden, wird der Vorrat an angereichertem Uran um 95 Prozent reduziert, zwei Drittel der Zentrifugen stillgelegt, Forschung und Entwicklung stark eingeschränkt sein. Und wir werden in den kommenden Jahren Transparenz über die Lage im Iran erhalten. Gleichzeitig werden wir versuchen, dass Teheran aus seiner Rolle als Bad Guy des Mittleren Ostens herausfindet.

Welt am Sonntag: Was wird sich im Iran intern tun?

Steinmeier: Ich bin mir sicher, dass mit Blick auf die Dynamik in der Gesellschaft der Iran in zehn, 15 Jahren nicht mehr dasselbe Land sein wird. Schon nach der Verständigung in Lausanne hat die junge Generation in den Straßen gefeiert. Sie hofft offenbar auf die ganz irdischen Dinge: Kontakte zum Rest der Welt, Reisen, mehr Freiheit. Wenn der Iran aus der außenpolitischen Isolierung herauskommt, wird er sich auch innenpolitisch verändern.

Welt am Sonntag: Empfangen Sie solche Signale von der Führung?

Steinmeier: Geschichte entwickelt sich nicht linear, sondern in Widersprüchen und Windungen. Im Iran streiten politische und religiöse Machtgruppen. Wir müssen darauf hoffen, dass diejenigen, die den jahrzehntelangen Konflikt mit dem Westen beenden wollen, am Ende die notwendige Unterstützung finden. Aber ich will nicht ausschließen, dass auf eine Atom-Einigung erst einmal auch Gegenreaktionen der Konservativen folgen.

Welt am Sonntag: Muss man sich in Moskau bedanken, wenn es zu einem Vertrag kommt?

Steinmeier: Russland hat ein eigenes Interesse, diesen Konflikt zu beenden. Bislang hat sich der Ukraine-Konflikt nicht negativ auf die Haltung Russlands am Verhandlungstisch mit dem Iran ausgewirkt. Dieser Konflikt ist einer von vielen in der Region, der nicht ohne Russland gelöst werden kann.

Welt am Sonntag: Der russische Präsident Putin hat die Stationierung neuer Atomraketen angekündigt. Die USA kündigen Gegenmaßnahmen an. Schlittern wir in eine neue Phase des Wettrüstens?

Steinmeier: Die alten Reflexe aus der Zeit des Kalten Krieges sind scheinbar noch lebendig. Aber die Welt hat sich verändert. Sie besteht nicht mehr aus zwei großen Mächten, ist nicht mehr aufgeteilt in Ost und West. Die Risiken, die seit 1989/90 dazugekommen sind, sind bedrohlicher, unkalkulierbarer und noch schwieriger zu lösen.

Putin will russische Nuklearwaffen aufrüsten

Wettrüsten wie im Kalten Krieg: Gerade hat die Nato angekündigt, die Militärpräsenz in Osteuropa auszubauen, da schlägt Russland zurück. Präsident Putin will seine atomare Schlagkraft weiter ausbauen.

Quelle: N24

Wir müssen achtgeben, dass jetzt nicht all das eingerissen wird, was wir jahrzehntelang an europäischer Friedensordnung mühsam aufgebaut haben. Dennoch können wir nicht ignorieren, dass Russland die unter seiner Mitwirkung geschaffene europäische Nachkriegsordnung infrage stellt. Und ich kann nachvollziehen, wenn sich Nachbarn, etwa die baltischen Staaten, bedroht fühlen. Deshalb hat sich Deutschland im Rahmen der Nato von Beginn an an Rückversicherungsmaßnahmen für diese Staaten beteiligt.

Welt am Sonntag: Können Sie sich in absehbarer Zeit normale, ja freundschaftliche Beziehungen zu Moskau vorstellen?

Steinmeier: Das wäre wünschenswert. Aber es hängt davon ab, ob Russland zu helfen bereit ist, den Ukraine-Konflikt zu überwinden. Klar ist: Deutschland darf Russland weder aufgeben noch isolieren. Russland bleibt ein großer Nachbar der EU und unseres Landes, und wird – im Guten oder im Schlechten – die Zukunft Europas mitbestimmen.

Welt am Sonntag: Der ehemalige Sicherheitsberater Jimmy Carters, Zbigniew Brzezinski, schlägt eine Art Finnlandisierung der Ukraine vor.

Steinmeier: Ich wünsche mir und erwarte auch, dass wir uns mit Russland auf die Wahrung der territorialen Integrität der Ukraine verständigen können. Weder Russland noch die EU dürfen jedoch dritten Staaten vorgeben, wohin sie sich entwickeln. Loyalitäten sind seit 1989/90 nicht mehr durch politischen oder militärischen Druck zu erreichen. Führungsnationen müssen lernen, für ihr Politikmodell zu werben. Diese Erfahrung wird auch Russland nicht erspart bleiben.

Welt am Sonntag: Wie ernst nehmen Sie eigentlich den griechischen Flirt mit Putin?

Steinmeier: Russland eignet sich nicht als weißer Ritter für einen Staat, der mit und in der EU nach einer Lösung seiner Probleme sucht. Die in St. Petersburg unterzeichneten Vereinbarungen über Energie-Infrastruktur, die einen Weg über Griechenland nehmen könnten, sind vage Szenarien. Was sich davon realisieren lässt, ist ungewiss, auch mit Blick auf offene Fragen mit anderen Staaten der Region.

Welt am Sonntag: 200 Seemeilen von Kreta entfernt macht sich in Libyen inzwischen der Islamische Staat (IS) breit. Auch in Syrien und im Irak scheint er zu reüssieren, nur die Kurden stellen sich den Islamisten mutig in den Weg. Tut der Westen genug, um den IS-Feldzug zu beenden?

Steinmeier: Wer in die Augen derer schaut, die sich in die Flüchtlingslager retten, weiß, dass wir in der Verantwortung stehen. Deshalb beteiligt sich Deutschland intensiv daran, den Zerfall der libyschen Staatlichkeit aufzuhalten. Wir müssen den Vormarsch von Isis aufhalten. Wir suchen deshalb auch nach einer politischen Lösung in Syrien. Fünf Jahre Bürgerkrieg und 270.000 Tote, Millionen Flüchtlinge sind Mahnung genug, alles zu versuchen.

Welt am Sonntag: Ist Teheran eigentlich ein Verbündeter im Kampf gegen den IS?

Steinmeier: Teheran hat ein eigenes Interesse, Isis nicht weiter vorrücken zu lassen. Wenn der Iran klug ist, wird er die Lösung im Nuklear-Konflikt nicht missbrauchen, sondern an einer neuen Sicherheitsordnung für den Mittleren Osten mitwirken. Der Gedanke zu einer KSZE in Europa entstand in den kältesten Tagen des Kalten Krieges. Ich wünsche den Akteuren in der arabischen Welt heute ebenso einen solchen Mut.

Welt am Sonntag: Gibt es neue Reise- und Sicherheitshinweise für Tunesien, und was raten Sie Urlaubern in nordafrikanischen Staaten?

Wie sicher ist das Urlaubsparadies?

Zeitpunkt und Ort des Terroranschlags waren offenbar ganz bewusst gewählt. Tunesien ist ein beliebtes Ziel für Touristen aus Europa. Dort beginnt in vielen Ländern jetzt die Ferienzeit.

Quelle: N24

Steinmeier: Die Anschläge in Frankreich, Tunesien und Kuwait auf unschuldige Menschen, die bei der Arbeit, beim Gebet oder einfach nur im Urlaub waren, verstärken leider die bittere Erkenntnis, dass das Krebsgeschwür des Terrorismus uns alle gleichermaßen bedroht. Die Unsicherheit ist groß. Viele Leute schauen auf unsere Website oder melden sich direkt beim Auswärtigen Amt, um sich über bestehende Risiken zu informieren.

Die Reise- und Sicherheitshinweise sind immer aktuell. Sie werden von meinen Mitarbeitern ständig überprüft und je nach Lage sofort angepasst. Dabei steht die Sicherheit der Deutschen absolut im Vordergrund. Auch nach dem Anschlag auf Tunesien wurden die Hinweise aktualisiert. Dennoch haben auch wir in der Vergangenheit lernen müssen, dass es 100-prozentige Sicherheit selbst hier in Europa nicht gibt. Die Anschläge können uns deshalb nur darin bestärken, dass wir uns niemals einschüchtern und auseinanderdividieren lassen dürfen.

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