Newsticker
Schlagzeilen, Meldungen und alles Wichtige
Die Nachrichten heute: Newsticker, Schlagzeilen und alles, was heute wichtig ist, im Überblick.
Zum Newsticker
  1. Home
  2. Print
  3. DIE WELT
  4. Debatte
  5. Gastkommentar: Russlands unaufhaltsamer Niedergang

Debatte Gastkommentar

Russlands unaufhaltsamer Niedergang

Während Europa diskutiert, setzt der Kreml seine Politik der Aggression gegenüber der Ukraine unvermindert fort. Zwar befindet sich Russland langfristig im Niedergang, stellt aber nach wie vor eine sehr reale Bedrohung der internationalen Ordnung in Europa und darüber hinaus dar. Tatsächlich könnte Russland aufgrund dieses Niedergangs noch gefährlicher werden. Eines ist klar: Bei den Ereignissen in der Ukraine handelt es sich um russische Aggression. Und die von Russland ausgehende Bedrohung erstreckt sich weit über die Ukraine hinaus. Schließlich ist Russland das Land, das über genügend Raketen und Atomsprengköpfe verfügt, um die USA zu zerstören. Ebenso wie sein wirtschaftlicher und geopolitischer Einfluss, schwindet auch die Bereitschaft Russlands, den Verzicht auf seinen atomaren Status zu erwägen. Tatsächlich hat man nicht nur die Taktik aus dem Kalten Krieg wiederbelebt, Militärflugzeuge unangekündigt in den Luftraum über den baltischen Staaten und der Nordsee eindringen zu lassen, sondern auch versteckte atomare Drohungen gegen Länder wie Dänemark ausgesprochen.

Waffen sind jedoch nicht Russlands einzige Stärke. Das Land profitiert auch von seiner enormen Größe, den umfangreichen natürlichen Ressourcen sowie einer gebildeten Bevölkerung, einschließlich einer Vielzahl qualifizierter Wissenschaftler und Techniker. Allerdings ist Russland mit ernsthaften Herausforderungen konfrontiert. So gestaltet sich die Wirtschaft des Landes nach wie vor als „ökonomische Monokultur“, wobei zwei Drittel aller Exporte auf Energie entfallen. Und die Bevölkerung des Landes schrumpft – nicht zuletzt, weil der durchschnittliche Mann in Russland im Alter von 65 Jahren stirbt, also ein Jahrzehnt früher als seine Pendants in anderen Industrieländern.

Obwohl liberalisierende Reformen Russland von seinen Leiden befreien könnten, wird eine derartige Agenda in einem von Korruption geplagten Land mit einer betont illiberalen Führung wohl kaum umgesetzt werden. Schließlich hat Putin versucht, eine neoslawophile Identität zu fördern, die sich in erster Linie durch Misstrauen gegenüber dem kulturellen und intellektuellen Einfluss des Westens definiert. Putin führt im Westen einen unkonventionellen Krieg, während er engere Bindungen mit dem Osten anstrebt. Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Russland letztlich als Chinas Juniorpartner dastehen wird, nämlich ohne Zugang zu Kapital und Technologie aus dem Westen und auch ohne Kontakte, die man benötigt, um den Niedergang zu vermeiden. Russland scheint also dazu verdammt, seinen Niedergang fortzusetzen. Staaten im Niedergang – man denke an Österreich-Ungarn im Jahr 1914 – neigen dazu, weniger risikoscheu und damit weit gefährlicher zu agieren. In jedem Fall hat ein prosperierendes Russland der internationalen Gemeinschaft auf lange Sicht mehr zu bieten.

Unterdessen stehen die USA und Europa vor einem politischen Dilemma. Auf der einen Seite ist es wichtig, Putins Kampfansage an das Grundprinzip, wonach Staaten die territoriale Integrität anderer Staaten nicht verletzen dürfen, entgegenzutreten. Auf der anderen Seite ist es wichtig, Russland angesichts der gemeinsamen Interessen mit den USA und Europa in den Bereichen atomare Sicherheit und Nichtweiterverbreitung, Terrorismus, Raumfahrt sowie Arktis, Iran und Afghanistan nicht völlig zu isolieren. Von einem neuen Kalten Krieg würde niemand profitieren.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier. Der Autor ist Professor an der Universität Harvard.Copyright: Project Syndicate, 2015.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant