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Panorama TV-Talk bei Maischberger

„Erdogan ist ein Fall für die Psychiatrie“

Wie viel Meinungsfreiheit verträgt der Türkeiurlaub

Nicht erst seit der jüngsten Debatte um Jan Böhmermanns Schmähgedicht fragen sich viele Türkei-Urlauber: Welche politischen Äußerungen kann man sich in der Öffentlichkeit überhaupt erlauben?

Quelle: Die Welt

Autoplay
Der Journalist Ulrich Kienzle nutzte Sandra Maischbergers Sendung zum Fall Böhmermann für eine Abrechnung mit dem türkischen Präsidenten. Er prallte auf einen deutschen Ex-Politiker mit kruden Thesen.

Wahrscheinlich war es als Aufklärung gedacht, es wirkte dann aber doch vor allem wie: Satire. Da ein Großteil der Zuschauer das böhmermannsche Schmähgedicht auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wohl selbst nie gehört hat – es wird schließlich weiter im ZDF-Giftschrank aufbewahrt –, haben es die ARD-Kollegen in der Talkshow von Sandra Maischberger nun doch noch einmal gezeigt. Allerdings nur in Ausschnitten und ohne die tatsächliche Tonspur.

Es war also ein fremder Sprecher, der da in sachlich-nüchternem Tonfall rezitierte, was Jan Böhmermann und sein Sidekick Ralf Kabelka am 31. März zu später Stunde aufführten und was bald darauf eine Staatsaffäre auslöste. So erfuhr man einmal mehr vom „Gelöt“, das nach Döner riecht, von der präsidialen Vorliebe fürs „Ziegenficken“ und „Minderheiten unterdrücken“ – und davon, dass man das alles natürlich nicht sagen darf.

Mit bierernster Stimme wurde das Gedicht vorgetragen, sogar mit Untertiteln hatte man es versehen. Es dürfte eine Inszenierung ganz im Sinne Böhmermanns, des Mannes der Metaebene, gewesen sein. Doch der Satiriker schweigt ja bekanntlich. Und deshalb wurde hier mal wieder stellvertretend darüber gestritten, ob sein Beitrag aus dem „Neo Magazin Royale“ nun Satire oder Beleidigung ist. Und über die anstehende juristische Aufarbeitung des Falls.

Diskussion wie im juristischen Proseminar

Den zugehörigen Paragrafen 103 des Strafgesetzbuches – Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten – jedenfalls wollen die meisten Teilnehmer der Diskussionsrunde am liebsten abschaffen. Als eine Regel „aus vordemokratischer Zeit“ bezeichnete der Grünen-Politiker Jürgen Trittin den Majestätsbeleidigungsparagrafen, auf den sich Erdogan nun beruft.

Wie viel Meinungsfreiheit verträgt der Türkeiurlaub

Nicht erst seit der jüngsten Debatte um Jan Böhmermanns Schmähgedicht fragen sich viele Türkei-Urlauber: Welche politischen Äußerungen kann man sich in der Öffentlichkeit überhaupt erlauben?

Quelle: Die Welt

Die Kanzlerin hatte Ermittlungen gegen Böhmermann nach dem Paragrafen 103 zugestimmt – und gleichzeitig dafür plädiert, die Abschaffung der Regelung voranzutreiben. Mit dieser Haltung, die Kritiker als paradox charakterisieren, wird eine Strafverfolgung Böhmermanns „gleichzeitig ermöglicht und verunmöglicht“. So beschrieb es der Medienanwalt Ralf Höcker. Er glaubt daran, dass Böhmermann wohl am Ende verurteilt wird – weil sein Schmähgedicht ein „Übermaß an nicht mehr hinzunehmender Abwertung“ kennzeichne.

Sandra Maischberger wurde die Diskussion bald zu fachspezifisch. Mit dem Einwand „Jetzt wird es aber ein Proseminar“ versuchte sie, den Talk wieder ins Allgemeinere zu bringen – weg von der Paragrafenwelt, hin zur Außenpolitik.

CSU-Politiker sieht keine Abhängigkeit von der Türkei

Kuscht Merkel vor Erdogan, um ihren Flüchtlingsdeal mit der Türkei nicht in Gefahr zu bringen? Jürgen Trittin sagte, dass der Verdacht auf jeden Fall da sei, dass die Kanzlerin wegen der Vereinbarungen ihre Unabhängigkeit eingebüßt hat. Als „nicht evident“ bezeichnete das dagegen der CSU-Politiker Stephan Mayer, der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion.

Mayer erinnerte daran, dass sich durch den Flüchtlingsdeal auch die Türkei in eine Abhängigkeit von Europa begeben habe, dass das Land „europäisches Geld“ benötige, um die Lage zu kontrollieren. „Es ist völlig falsch, zu sagen, wir hätten uns Erdogan ausgeliefert“, sagte der CSU-Mann. Zwischen Europa und der Türkei gebe es viel eher „eine gegenseitige Abhängigkeit“.

Vor allem der Fernsehjournalist Ulrich Kienzle nutzte die Diskussion dagegen für eine Generalabrechnung mit dem türkischen Präsidenten und seiner Partei, der konservativ-islamischen AKP. Er bezeichnete Erdogan als „Neo-Sultan“ und warf ihm „mangelnde Souveränität“ im Umgang mit Kritikern vor.

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„Erdogan ist ein Fall für die Psychiatrie“, lästerte Kienzle. „Wer gegen 2000 Menschen wegen Beleidigung klagt, der hat sie doch nicht mehr alle.“ Angst, demnächst selbst Teil dieser Liste zu werden, zeigte Kienzle jedenfalls keine.

Dabei hatte er durchaus auch Lob für den AKP-Politiker übrig. Dass Erdogan die Macht des Militärs in der Türkei beschränkt hat, nannte er „eine reife Leistung“. Und er attestierte Erdogan auch, dass er in seiner Heimat „ein Wirtschaftswunder initiiert“ habe. Doch nach den guten Leistungen in den Anfangsjahren habe sich der AKP-Politiker mehr und mehr zu einem „Nichtdemokraten“ entwickelt.

Probleme mit der Meinungsfreiheit? Doch nicht in der Türkei!

Einer ging Kienzle für seine Erdogan-Kritik indes scharf an: Ozan Ceyhun. Der deutschtürkische Politiker gab sich als glühender Verehrer des türkischen Präsidenten. Für die AKP arbeitet er als Berater, in Izmir hat er 2015 für die Partei auch kandidiert. „Erdogan hat die Türkei demokratisiert“, schwärmte Ceyhun in der Sendung. Und legte gleich nach: „Seitdem die AKP regiert, gibt es keine großen Probleme mit der Meinungsfreiheit in der Türkei.“

Man liegt gewiss nicht falsch, wenn man Ceyhun als politisches Chamäleon bezeichnet. Er war lange Mitglied der Grünen, saß von 1998 bis 2000 für die Ökopartei im Europaparlament, wechselte dann jedoch in die SPD. Seit einiger Zeit stellt er sein politisches Engagement nun aber in den Dienst der Erdogan-Partei. Ceyhun gilt vielen als enger Vertrauter des türkischen Präsidenten.

Als die Kabarettistin Idil Baydar zur Situation der Medien in der Türkei sagte, dass man nicht von einer Demokratie sprechen könne, „wenn mehr Journalisten in den Knast gehen als zur Arbeit“, da erntete sie von Ceyhun einen kühlen Konter. „Es gibt keine Journalisten in der Türkei im Gefängnis“, sagte der AKP-Mann. Die, die inhaftiert sind, seien nur auf dem Papier Journalisten, tatsächlich aber würden sie Terroristen, etwa von der kurdischen PKK, unterstützen.

„Nicht jeder, der sich als Journalist ausweist, ist auch einer“

Ozan Ceyhun äußerte sich auch dazu, dass dem ARD-Korrespondenten Volker Schwenck, der das Kairoer Büro des Senders leitet, am Dienstag die Einreise in die Türkei verweigert wurde. Schwenck wollte ins türkisch-syrische Grenzgebiet reisen, wurde aber am Flughafen in Istanbul abgewiesen.

„Dafür gab es Gründe“, sagte Ceyhun – um dann darauf hinzuweisen, dass es schon häufiger Probleme mit Journalisten gegeben habe, die sich mit Kämpfern der syrischen Kurden-Miliz PYD treffen wollten. Und dann sagte er noch: „Nicht jeder, der sich als Journalist ausweist, ist auch einer.“ Ceyhuns selbstherrlicher Auftritt machte vor allem eins deutlich: Ein Dialog mit der türkischen AKP-Regierung dürfte in der Zukunft sicher nicht einfacher werden.

Eine gute Nachricht gab es schließlich trotzdem – vor allem für die Fans von Jan Böhmermann. Medienanwalt Ralf Höcker stellte zum Ende der Sendung klar: „Ins Gefängnis wird der Satiriker sicherlich nicht müssen.“

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