Newsticker
Schlagzeilen, Meldungen und alles Wichtige
Die Nachrichten heute: Newsticker, Schlagzeilen und alles, was heute wichtig ist, im Überblick.
Zum Newsticker
  1. Home
  2. Wirtschaft
  3. Energie
  4. Nord Stream 2 offenbart eine seltsame Nähe zu Russland

Energie Pipeline-Projekt

Nord Stream offenbart eine seltsame Nähe zu Russland

Quelle: Infografik Die Welt
Die neue Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 spaltet Europa. Wird sie Realität, sind Länder wie Polen und die Ukraine für den Gastransport ohne Bedeutung. Deutschland spielt dabei eine ungewohnte Rolle.

Matthias Warnig ist entweder sehr mutig oder ein kolossaler Optimist. Der Geschäftsführer des Gaspipeline-Konsortiums Nord Stream plant sein neues gigantisches Projekt so selbstverständlich, als würde es sich um einen kleinen harmlosen Kabelschacht handeln.

Stattdessen jedoch geht es um Nord Stream 2, eines der umstrittensten Infrastrukturvorhaben unserer Zeit. Ein Projekt, welches die Gräben in Europa noch tiefer machen kann. Es gibt Stimmen, die darin neben Euro-Krise und Flüchtlingsdrama den dritten und womöglich entscheidenden Grund für den politischen Zerfall des Kontinents sehen. Neben der bereits vorhandenen Unterwasser-Gasleitung, die im November 2011 eingeweiht wurde, soll es künftig zwei weitere Leitungsstränge aus Russland nach Deutschland geben.

Geheimdienst fürchtet öffentliche Diskussion

Damit würden die Ukraine und Osteuropa, die derzeit noch üppige Transitgebühren kassieren, künftig nahezu leer ausgehen. Angesichts der Spannungen mit Russland versteht man in Kiew, Warschau oder Prag nicht, warum Deutschland einen solchen Pakt mit Moskau schmieden will. Hierzulande ist eine öffentliche Diskussion bislang kaum spürbar – was im Sinne der Planer ist. In Wirklichkeit befürchten sie nämlich, dass eine innerdeutsche Diskussion über die Anschluss-Pipelines den Gegnern von Nord Stream 2 neue Munition liefere und das Projekt gefährden könne, heißt es in einem deutschen Geheimdienst-Papier, das der „Welt“ vorliegt.

Nord-Stream-Chef Warnig ficht die ganze Aufregung offiziell nicht an. Der ehemalige Funktionär des Ministerium für Staatssicherheit gilt als Intimus von Wladimir Putin und plant die neue Röhre, als würde es praktisch keinen Widerstand dagegen geben. Zuletzt wurde beispielsweise bekannt gegeben, dass sogar die Lieferanten für den Bau bereits ausgewählt sind.

Demnach erhält der deutsche Hersteller Europipe GmbH ganze 40 Prozent der Aufträge. Den Rest teilen sich zwei russische Konzerne. Ab 2018 soll der Bau dem Zeitplan nach beginnen. 8,4 bis neun Milliarden Euro soll er verschlingen. Nach Fertigstellung würde die Kapazität der zwei bestehenden Leitungsstränge um 55 auf 110 Milliarden Kubikmeter pro Jahr verdoppelt, was den deutschen Inlandsbedarf um 25 Prozent übersteigt.

EU hat wenig Chancen auf ein Veto

Warnigs Optimismus ist nicht unbegründet. Die Position der europäischen Staaten, die kürzlich einen Protestbrief an EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker geschickt haben, scheint geschwächt. Denn Deutschland wirft sein Gewicht als Befürworter von Nord Stream 2 immer stärker in die Schale und vertritt die rechtliche Position, dass die EU keine rechtliche Kompetenz habe, das Projekt zu torpedieren. Selbst innerhalb der EU scheinen Juristen zu diesem Entschluss gekommen zu sein, wie die Zeitschrift „Politico“, bezugnehmend auf ein internes Memo, berichtet, das auf einer Expertise des Legal Service der EU-Kommission beruhe.

Während also zwischen Brüssel, Berlin und Moskau trotz allem noch politisch und juristisch wegen der Pipeline durch das Meer gepokert und verhandelt wird, laufen im Hintergrund längst die Hochrechnungen und Vorbereitungen für Leitungskapazitäten, um das beizeiten im deutschen Greifswald ankommende zusätzliche russische Gas auch durch Deutschland und darüber hinaus weiterzutransportieren und -verteilen zu können.

De facto nämlich herrscht ein Engpass in der deutschen und europäischen Gastransport-Infrastruktur. Nord Stream 2 ist nicht das einzige Projekt, das zu ihrem Ausbau zwingt. Aber es ist das weitaus größte Unterfangen der kommenden Jahre. Wird die Unterwasserröhre aus Russland nach Greifswald gebaut, muss das Pipeline-Netz von Greifswald weg, das zum Teil (wie die Pipeline Opal in Deutschland oder die Gazelle-Pipeline in Tschechien) schon für die bestehenden Stränge der Nord Stream errichtet worden ist, deutlich nachgerüstet und verändert werden.

Quelle: Infografik Die Welt

Nach Vorstellung des Konsortiums für Nord Stream 2, zu dem neben der russischen Gazprom noch die deutschen Konzerne E.on und Wintershall sowie die britische Shell, die österreichische OMV und die französische Engie gehören, soll fast ein Drittel der künftig in Greifswald ankommenden neuen Gasmenge – vorwiegend über die NEL-Pipeline – zu den Verteilpunkten in Nord-West-Europa fließen und von dort innerhalb Deutschlands oder zum Weitertransport nach Holland verteilt werden. Die restlichen zwei Drittel sollten zum zentraleuropäischen Hub nach Baumgarten nahe Wien transportiert werden.

65 Milliarden weitere Kubikmeter kommen in Greifswald an

Anzeige

Recherchen der „Welt“ haben ergeben, dass eine bloße Ausweitung der bestehenden Pipelinekapazitäten nicht ausreichen könnte und gegebenenfalls neue Pipelines gebaut werden müssen, um das zu stemmen. Fakt nämlich ist, dass das Betreiberkonsortium von Nord Stream 2 laut Szenariorahmen der deutschen Fernnetzbetreiber eine Einspeisekapazität von im Schnitt jährlich 65 Milliarden Kubikmeter für die Jahre 2019 bis 2042 für Greifswald angefragt hat. Mit anderen Worten: Ab 2019 soll jährlich so viel zusätzliches Gas in der Hansestadt ankommen.

Die Anlandestation von Nord Stream in Deutschland befindet sich am Energiestandort Lubminer Heide in der Nähe von Greifswald
Die Anlandestation von Nord Stream in Deutschland befindet sich am Energiestandort Lubminer Heide in der Nähe von Greifswald
Quelle: Nord Stream AG

Sieht man sich die Anfragen für die Destinationen an, zu denen dieses Gas fließen soll, so sind ab 2019 jährlich ganze 54 Milliarden Kubikmeter für den Export nach Tschechien und weiter nach Österreich und Italien angefragt. Rechnet man die Mengen hinzu, die jetzt schon von Norden nach Süden fließen, so ergibt das Experten zufolge unterm Strich einen Kapazitätsbedarf von etwa 70 Milliarden Kubikmeter. Der Haken: Die jetzigen Leitungskapazitäten von Nord nach Süd betragen im besten Fall 50 Milliarden Kubikmeter.

Die zuständigen Stellen reagieren höchst unterschiedlich auf das Problem der neuen Volumina. In ihrem aktuellen Netzentwicklungsplan haben die deutschen Fernleitungsnetzbetreiber zumindest für das deutsche Bundesgebiet keine neuen Pipelines vorgesehen und wollen dem neuen Kapazitätsbedarf möglichst mit der Erweiterung bestehender Pipelines begegnen.

Ohnehin besteht eine Fülle von innerdeutschen Netzausbauvorhaben, die – ohne Berücksichtigung von Nord Stream 2 – bis 2027 Investitionen von 3,9 Milliarden Euro verschlingen werden. Sollte Nord Stream 2 realisiert werden, erhöhe sich der innerdeutsche Investitionsbedarf bis 2027 um gerade mal 500 Millionen Euro, so die Fernleitungsnetzbetreiber in ihrer Hochrechnung.

Eine weitere Pipeline namens Eugal

Einzelne Konzerne unter ihnen sehen das allerdings anders. Vor allem für die Verbindung von der Ostsee nach Tschechien werden Adaptierungen der bestehenden Leitungen – darunter die OPAL, die von der EU zur Hälfte blockiert wird, um Gazproms Marktmacht zu beschränken – nicht reichen. „Wir denken für die Verbindung von Greifswald nach Tschechien über eine komplett neue Anbindungsleitung nach, der wir den Namen Eugal gegeben haben“, wird Ludger Hümbs, zuständiger Manager beim Ferngasnetzbetreiber Gascade, im Fachmagazin des Kommunikationsdienstleisters Energate, zitiert. Eine Sprecherin von Gascade bestätigt auf Anfrage der „Welt“ solche Überlegungen.

LNG heißt der Kraftstoff der Zukunft

"Liquid Natural Gas" ist der derzeit schadstoffärmste fossile Brennstoff. Vor allem im Güterverkehr soll er für sauberen Antrieb sorgen.

Quelle: Die Welt

Auch Walter Boltz, der scheidende Chef des österreichischen Energieregulators E-Control, schlägt in diese Kerbe: „Wenn die Russen den Transit durch die Ukraine völlig beenden und alle 50 bis 60 Milliarden Kubikmeter, die derzeit über den ukrainischen Transit kommen, künftig über die Ostsee liefern, braucht es eine neue Pipeline von Greifswald nach Tschechien“, sagt er und nennt deren sinnvolle Kapazität: 30 Milliarden Kubikmeter.

Dass an einer Pipeline des Namens „Eugal“ getüftelt wird, geht auch aus einer Stellenausschreibung des Energieministeriums Mecklenburg-Vorpommern vom März für einen „Sachbearbeiter Planfeststellung“ hervor. Die Ferngasnetzbetreiber legen diese Woche ihre neuen Entwürfe der Bundesnetzagentur vor, die dann ab Mitte April weiter darüber berät.

Auch Österreich hat noch Pläne

Anzeige

Wird also in Deutschland unter den Fernleitungsnetzbetreibern und der Bundesnetzagentur weiter verhandelt – und gepokert, weil jeder Betreiber seine Netze voll genützt haben möchte –, so hat auch in Tschechien, der Slowakei und Österreich der Diskussionsprozess auf Expertenebene längst begonnen und gewinnt im Moment dem Vernehmen nach an Fahrt.

Der Transport durch Tschechien ist dabei nicht das Hauptproblem, weil in den dortigen beiden Transgas-Großpipelines, die jetzt russisches Gas aus dem ukrainischen Transit in den Westen und Norden transportieren, einfach die Fließrichtung umgedreht werden muss. Kernfrage ist vielmehr, ob man für den Transport des Nord-Stream-Gases von Tschechien nach Österreich doch endlich die seit Langem überlegte Verbindungspipeline BACI (Bidirectional Austrian-Czech Interconnection) aus der Brünner Gegend zum Hub in Baumgarten bei Wien bauen soll. Bislang sind Tschechien und Österreich nämlich über keine Gaspipeline miteinander verbunden.

Was bisher aus dem Norden nach Baumgarten (und großteils weiter nach Italien) fließt, nimmt seinen Weg über die Slowakei – eine Route, die man freilich auch für Nord Stream 2 nutzen und ausbauen könnte.

Was die Kosten betrifft, die der Bau aller Anbindungspipelines für Nord Stream 2 in Deutschland, Tschechien und Österreich (oder Slowakei) nach sich ziehen würde, so gehen die Schätzungen derzeit weit auseinander. Die deutschen Leitungsnetzbetreiber nennen auf Anfrage keine Zahl. Von etwa zwei Milliarden Euro spricht Michail Kortschemkin, Chef von East European Gas Analysis, auf Anfrage. Als unrealistisch weist dies Boltz zurück und veranschlagt seinerseits grob geschätzt bis zu sieben Milliarden Euro.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema