Auf dem Maidan der ukrainischen Hauptstadt fordert ein Redner den sofortigen Rücktritt der politischen Führung. Hier darf jeder einmal auf dem Treppenabsatz seine Meinung herauslassen. Hinter den Protestierenden zeigt ein Plakat den Premierminister Jazenjuk mit einem roten Punkt auf der Stirn und der Aufschrift: "Kopfschuss". Die Forderungen sind so grobschlächtig wie der Protest insgesamt. Von hier hat Jazenjuk bislang keine Bedrohung zu erwarten. Noch protestieren nur die Dauerverlierer und nicht Tausende Ukrainer wie im Februar 2014.

Gefährlicher für die Staatsführung ist die Bedrohung, die von ihr selbst ausgeht. Vorige Woche forderte der Präsident den Premierminister zum Gehen auf, ein Misstrauensvotum gegen Jazenjuk scheiterte auf rätselhafte Weise. Im Parlament würden, so die Klage, wieder Stimmen gekauft. Oligarchen hätten die Hand im Spiel. Zwei Jahre nach dem historischen Maidanaufstand scheint die ukrainische Politik wieder in ihren normal-anomalen Aggregatzustand zurückzukehren. Jene Anomalie, die das Land 2014 tief in die Krise geführt hat.

Die Rückkehr der Malaise hat die Außenminister Deutschlands und Frankreichs alarmiert. Frank-Walter Steinmeier und Jean-Marc Ayrault brachen am Montag zu einer zweitägigen Reise nach Kiew auf. Es ist die erste gemeinsame Reise des neuen Pariser Chefdiplomaten mit Steinmeier. In einem Airbus der Bundesluftwaffe flogen sie nach Kiew – und bereiteten ihre Botschaft vor, auf Deutsch, das der ehemalige Deutschlehrer Ayrault gut beherrscht.

In Kiew zogen sie gemeinsam durch die weißgetünchten klassizistischen Paläste der Stadt und sahen Präsident und Premier, Minister und Fraktionsführer der Rada, des Parlaments. Das Ergebnis war ernüchternd. Das Verhältnis von Poroschenko und Jazenjuk ist auf einem Tiefpunkt, das Vertrauen dahin. Wie die beiden Streithähne dringend notwendige Reformen bei Grund und Boden, Steuern und Pensionen ins Werk setzen wollen, ist schleierhaft. Nur sahen sie die Lage gar nicht so dramatisch wie die Besucher. Einige Kiewer Politiker waren nur froh, dass man das Misstrauensvotum überstanden hatte.